Zum ersten Mal verliebt
bei Olive Kirk anecken würde, aber es sollte alles rein geschäftlich sein und nur um das Wesentliche gehen. Ihr Terminkalender sollte einen weißen Umschlag haben mit einem roten Kreuz darauf. Auch eine Art Uniform wäre nicht schlecht für die Konzerte, die sie geben würden, damit Geld hereinkam. Irgendetwas Einfaches, das trotzdem nett aussah.
»Du hast den oberen Saum von diesem Tuch mit dem unteren Saum von dem anderen zusammengenäht«, sagte Di.
Rilla machte die Stiche wieder auf und dachte bei sich, dass sie Nähen schrecklich fand. Das Rote Kreuz würde viel mehr Spaß machen.
Oben sagte Anne zu Susan: »Susan, weißt du noch, als Jem das erste Mal seine kleinen Ärmchen nach mir ausstreckte und >Mama< sagte, sein allererstes Wort?«
»Wie könnte ich das je vergessen«, sagte Susan traurig. »Susan, ich muss den ganzen Tag daran denken, wie er einmal nachts nach mir geweint hat. Er war erst ein paar Monate alt. Gilbert wollte nicht, dass ich zu ihm gehe. Er sagte, es gehe ihm gut und ich würde ihn sonst nur verwöhnen. Aber ich bin aufgestanden und habe ihn hochgenommen. Ich fühle heute noch, wie er seine kleinen Ärmchen fest um meinen Hals geschlungen hat. Susan, wenn ich heute vor einundzwanzig Jahren nicht zu meinem Baby gegangen wäre und es an mich gedrückt hätte, als es nach mir weinte, dann könnte ich dem morgigen Tag nicht entgegensehen.«
»Ich weiß gar nicht, wie wir das überhaupt bewältigen sollen, liebe Frau Doktor. Aber der endgültige Abschied wird es doch wohl nicht sein. Bestimmt kommt er noch mal auf Urlaub, bevor er nach Übersee geht, oder?«
»Das hoffen wir auch, aber sicher sind wir nicht. Ich stelle mich lieber darauf ein, dass er nicht kommt, dann erspare ich mir die Enttäuschung. Susan, ich habe mir fest vorgenommen, dass ich mich morgen früh mit einem Lächeln von meinem Sohn verabschieden werde. Er soll nicht das Bild einer schwachen Mutter mit sich nehmen, die nicht den Mut hatte, ihn gehen zu lassen. Ich hoffe, dass keiner von uns weint.«
»Ich werde nicht weinen, liebe Frau Doktor, darauf können Sie sich verlassen. Aber ob ich es schaffe zu lächeln, das weiß nur der liebe Gott. Haben Sie noch Platz für diesen Rosinenkuchen? Und für diese Kekse? Und für die Fleischpastete? Der arme Junge darf schließlich nicht verhungern, falls es da in Quebec nichts zu essen gibt. Alles ändert sich auf einmal, finden Sie nicht? Sogar der alte Kater vom Pfarrhaus ist plötzlich gestorben. Gestern Abend um Viertel vor zehn hat er seinen letzten Atemzug getan und Bruce ist nun ganz unglücklich darüber.«
»Aber es war doch auch an der Zeit für ihn. Er muss doch schon mindestens fünfzehn Jahre alt gewesen sein. Er kam mir so einsam vor, seit Tante Martha, die alte Haushälterin, gestorben ist.«
»Ich hätte mich nicht beklagt, wenn dieses Biest von Mr Hyde gleich mitgestorben wäre. Seit Jem in seiner Khakiuniform daherkam, ist dieser Kater doch fast nur noch Mr Hyde gewesen. Wenn das nichts zu bedeuten hat! Ich weiß gar nicht, was aus Monday werden soll, wenn Jem weg ist. Wenn ich sehe, mit was für einem Blick er herumschleicht, dann wird mir ganz anders zu Mute. Ellen West hat immer über den Kaiser geschimpft, und wir hielten sie deswegen für verrückt, aber jetzt verstehe ich sie. So, dieser Koffer ist fertig gepackt, liebe Frau Doktor. Jetzt gehe ich erst mal runter und werde ein besonders gutes Abendessen zubereiten. Wenn ich bloß wüsste, wann ich wieder das nächste Essen für unseren Jem machen darf, aber das steht wohl in den Sternen.«
Jem Blythe und Jerry Meredith brachen am nächsten Morgen auf. Es war ein trüber Tag. Die Wolken sahen nach Regen aus und hingen wie riesige graue Haufen am Himmel. Trotzdem waren fast alle Leute aus Glen, Four Winds, Harbour Head, Upper Gien und Overharbour da, um sich von den jungen Männern zu verabschieden. Die Blythes und die Merediths lächelten. Sogar Susan setzte ein Lächeln auf, obwohl sie damit trauriger aussah, als wenn sie geweint hätte. Faith und Nan waren sehr blass und sehr tapfer und Rilla kämpfte mit einem Kloß im Hals und zitternden Lippen. Monday war auch dabei. Jem wollte sich schon in Ingleside von ihm verabschieden, aber Monday sah ihn mit so flehenden Augen an, dass Jem nachgab und ihn mit zum Bahnhof nahm. Er lief ganz eng neben Jem her und beobachtete jede Bewegung seines geliebten Herrchens.
»Ich kann den Blick von diesem Hund kaum ertragen«, sagte Mrs Meredith.
»Der Hund hat mehr
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