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Zum ersten Mal verliebt

Titel: Zum ersten Mal verliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Doktor! Das Ausland ist doch zur Verteidigung eingesprungen«, sagte Susan, stolz, weil sie sich auskannte. »Warten Sie nur, bis die Deutschen auf die Briten treffen, da wird die Geschichte schon anders aussehen, das können Sie mir glauben.«
    Gilbert schüttelte wieder den Kopf, diesmal nicht mehr ganz so energisch. Vielleicht teilten sie alle unbewusst Susans Meinung, dass >die dünne graue Linie< unüberwindbar war, selbst für das siegreiche Millionenheer Deutschlands. Wie dem auch sei, als dann der schreckliche Tag kam - der erste von vielen weiteren schrecklichen Tagen -, an dem es hieß, dass die britische Armee zurückgetrieben worden sei, starrten sie einander fassungslos an.
    »Das - das kann doch nicht wahr sein«, keuchte Nan hervor. »Ich hab es kommen sehen, dass es heute schlechte Nachrichten gibt«, sagte Susan. »Dieser blöde Kater hat sich heute Morgen ohne ersichtlichen Grund in Mr Hyde verwandelt. Das war kein gutes Omen.«
    »Eine gebrochene und geschlagene, aber keine zermürbte Armee«, wiederholte Gilbert aus einer Eilbotschaft, die aus London kam. »Kann das wirklich Englands Armee sein, die da gemeint ist?«
    »Jetzt wird es wohl doch lange dauern, bis der Krieg zu Ende ist«, sagte Anne mutlos.
    Susans fester Glaube, der für einen Augenblick erschüttert worden war, gewann gleich wieder die Oberhand.
    »Liebe Frau Doktor, denken Sie daran, dass die britische Armee nicht die britische Marine ist! Das dürfen Sie nie vergessen. Und die Russen sind auch auf dem Vormarsch, auch wenn die Russen ein Volk sind, von dem ich wenig weiß und mit dem ich folglich auch nichts zu schaffen habe.«
    »Die Russen werden nicht rechtzeitig da sein, um Paris zu retten«, sagte Walter düster. »Paris ist das Herz Frankreichs -und der Weg dorthin steht offen. Ach, ich wünschte -« Er brach ab und ging hinaus.
    Nach einem nervenaufreibenden Tag stellten die Blythes fest, dass das Leben trotz allem weiterging, auch wenn nun täglich mit schlechten Nachrichten zu rechnen war. Susan tobte sich weiterhin in der Küche aus, Gilbert machte seine Krankenbesuche, Nan und Di widmeten sich wieder ihren Rotkreuz-Aktivitäten. Anne fuhr nach Charlottetown, um an einer Rotkreuz-Versammung teilzunehmen. Und Rilla erinnerte sich wieder, dass sie sich vorgenommen hatte, tapfer und heldenhaft zu sein, nachdem sie sich im Regenbogental ausgeweint und ihren Gefühlen in ihrem Tagebuch freien Lauf gelassen hatte. Und für sie war es wirklich eine Heldentat, als sie eines Tages auf Abner Crawfords Pferdewagen in Gien und Four Winds herumfuhr, um die versprochenen Spenden für das Rote Kreuz einzusammeln. Eines der Ingleside-Pferde lahmte, und Gilbert benötigte das andere Pferd, sodass nur Mr Crawfords Pony übrig blieb: ein gemächlich einhertrottendes, dickfelliges Tier mit der liebenswerten Angewohnheit, alle paar Meter stehen zu bleiben, um mit dem einen Bein eine Fliege vom anderen Bein wegzujagen. Rilla fand, dass das mindestens genauso wenig zum Aushalten war wie die Tatsache, dass die Deutschen nur fünfzig Meilen von Paris entfernt waren. Aber sie machte sich dennoch mutig auf den Weg, und der lohnte sich wirklich!
    Am späten Nachmittag, als sich die Pakete schon im Wagen auftürmten, gelangte Rilla an einen grasüberwachsenen, durchfurchten Feldweg, der zum Hafen hinunterführte. Sie überlegte, ob es wohl Sinn hätte, bei den Andersons vorbeizufahren. Die Andersons waren sehr arme Leute, und so war es eher unwahrscheinlich, dass Mrs Anderson etwas abzugeben hatte. Andererseits war ihr Mann, ein gebürtiger Engländer, der bei Ausbruch des Krieges in Kingsport gearbeitet hatte, sofort nach England gereist, um sich freiwillig zu melden. Er war nicht einmal mehr nach Hause gekommen und hatte auch kein Geld geschickt. Es hätte also sein können, dass Mrs Anderson verletzt gewesen wäre, wenn man sie übergangen hätte. Rilla beschloss also vorbeizuschauen. Später bereute sie diesen Entschluss des Öfteren, aber letztlich war sie doch froh, dass sie ihn ausgeführt hatte.
    Das Haus der Andersons war klein und heruntergekommen und lag wie zusammengekauert inmitten von kargen Fichten unweit der Küste, so, als ob es sich schämte und sich verstecken wollte. Rilla band ihr graues Pony an dem wackeligen Zaun fest und ging zur Tür. Sie stand offen, und was sie da sah, verschlug ihr augenblicklich die Sprache. Sie stand da wie gelähmt.
    Durch die offene Tür des kleinen Schlafzimmers sah Rilla Mrs Anderson auf dem

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