Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
eingegraben hat. So tief, daß sie von diesem Tag an nicht mehr essen will, nicht mehr essen kann. Wieder flieht sie in die Krankheit.«
Normann beobachtete den Konsul scharf. Er hatte schon oft solche Gespräche geführt, und häufig waren dann doch irgendwelche Geständnisse gekommen.
Rudolf Diekenhorst erriet seine Gedanken. »Sie meinen, Doktor, es muß mit mir zusammenhängen?«
»Ja, das meine ich.«
»Wenn das stimmt, dann muß es eine Einbildung von Ellen gewesen sein. Sie könnte sich etwas eingebildet haben. Ich bin natürlich oft mit schönen Frauen zusammen, das ist klar – aber dann hätte sie doch bestimmt eine Andeutung gemacht, mich zur Rede gestellt oder es jetzt wenigstens Ihnen hier in der Praxis gestanden.«
»Abgesehen davon, daß Psychiater auch nicht alles erfahren«, antwortete Normann, »glaube ich im Fall Ihrer Frau, daß sie es bewußt gar nicht wahrgenommen hat.«
»Ich fürchte nur«, sagte der Konsul, »wenn wir die Detektivaufgabe nicht bald lösen, dann muß Ellen künstlich ernährt werden.«
Dr. Normann begleitete ihn zur Tür. »Wissen Sie, wir Psychiater leben von Gedankenblitzen. Sollten Sie so einen Gedankenblitz haben, dann rufen Sie mich doch bitte sofort an.«
Am Freitagabend trudelten die Vertreter aus allen Himmelsrichtungen in der Firma ein. Ihre staubverkrusteten Autos standen im Hof herum. Die Männer erledigten noch ein paar Schreibereien, verglichen die Abschlüsse, faßten neue Bestellblöcke und neues Werbematerial – und schnupperten im übrigen schon dem Wochenende entgegen.
Einer dieser Vertreter war Martin Helmer. Vierunddreißig war er im April geworden. Er war untersetzt, hatte ein ganz schönes Gewicht, im Gesicht ein paar Sommersprossen und lustige braune Augen. Mit Kunden verstand er es ausgezeichnet. Man mochte ihn in der Firma. Er hatte bestimmt die Chance, einmal Verkaufsleiter zu werden.
»Tschüß«, sagte er zu den Mädchen im Büro, »bis nächsten Freitag.« Gewöhnlich machte er noch ein paar Witze, heute hatte er keine Lust dazu.
Auf der Treppe stieß ihn der lange Schmitt an, der einzige unter den Kollegen, mit dem er auch privaten Kontakt hatte. »Du, Martin, morgen ist im Jagdschlößchen großes Sommerfest. Wollen wir mal unsere Frauen ausführen? Die meine hat mich extra in Passau angerufen.«
»Ich überleg's mir noch«, antwortete Martin Helmer ausweichend. »Ich ruf' dich dann an, wenn wir mitgehen.«
»Okay. Und sag einen schönen Gruß an Stephi. Ich würde mich freuen, sie wieder mal zu sehen.«
»Wird ausgerichtet.«
Als er in seinem Auto saß und sich eine Zigarette anzündete, dachte er: Verdammt nochmal, warum kann meine Frau nicht so sein wie alle anderen? Warum muß ausgerechnet ich zur Liebe außer Haus gehen?
Er fuhr los. Der mittlere Ring war ziemlich verstopft. Großstadtverkehr zwischen fünf und sechs, na ja, das kennt man.
Seine Hände klebten am Steuerrad. Ich verstehe Stephi nicht, dachte er. Nein, ich verstehe sie nicht. Alle versichern mir, was ich für eine nette kleine Frau habe. Stimmt sogar. Sie ist hübsch, sie kocht gut, sie hat den Haushalt in Schuß, sie stellt keine großen Ansprüche, sie kommt mit meiner Mutter aus, sie kann mit den Augen klimpern, sie hat phantastische Beine.
Sie kann lachen. Ich kann lachen. Ich mag sie, und sie mag mich. Und trotzdem klappt es nicht. Überhaupt nicht. Weil ich kein Eunuch bin. Weil mir Händchenhalten zu wenig ist. Weil ich ein ganz normaler Mann bin.
Martin Helmer fand direkt vor seinem Haus eine Parklücke. Er nahm seine Koffer heraus, stieg die Stufen hoch, läutete.
Sabine machte ihm auf. Und sie flog ihm auch gleich um den Hals. »Papi, hast du mir was mitgebracht?«
»Mal sehen«, grinste er. Er brachte immer etwas für seine Tochter mit. Diesmal war es ein großes Schwein aus Marzipan.
»Darf ich den Kopf heute noch essen, Papi?«
»Ja. Heute den Kopf, morgen den Bauch, und den Rest am Sonntag.« Er zog seine Jacke aus. »Wo ist denn Mutti?«
»In der Küche.«
Er stieß die Tür auf. »Guten Abend.«
»Guten Abend«, antwortete Stephi eisig.
Die eigentliche Auseinandersetzung kam dann erst später. Sabine mußte vorher eingeschlafen sein. Kinder sollen ja ihre Eltern für glücklich halten.
»Martin«, sagte Stephi unvermittelt, »du kannst dich jederzeit scheiden lassen.«
Er ließ die Zeitung sinken, starrte sie an. »Du weißt genau, daß ich mich nie scheiden lasse.«
»Und wenn ich es will?« Als sie das sagte, stand sie am
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