Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
ihn stehen. Sie war froh, als sie draußen im Passantenstrom untertauchen konnte. Der Himmel hatte sich grau und trüb eingefärbt. Ein scheußlicher Abend mit ihrer alten Tante stand ihr bevor, wenn sie jetzt hinging.
Am Karlsplatz fand sie eine leere Telefonzelle. Sie wählte eine Nummer und sagte: »Richard, ich habe es mir anders überlegt. Wenn du noch Zeit und Lust hast, dann könnten wir heute abend zum Essen gehen.«
Dr. Richard Normann hatte Zeit und Lust.
Während der fünften psychotherapeutischen Gruppensitzung in Dr. Normanns Praxis wandte sich Stephi Helmer direkt an den Psychiater: »In meiner Ehe geht es doch nicht darum, daß ich einen Seitensprung verzeihen müßte. Das könnte ich wahrscheinlich. Nein, es geht um grundsätzliche sexuelle Vorstellungen meines Mannes, die ich nicht erfüllen kann.«
Dr. Normann sah sie an. »Die Sie auch nicht erfüllen wollen! Das scheint mir der springende Punkt zu sein.«
Stephi wurde rot. »Ich weiß nicht«, antwortete sie wütend, »es läuft immer wieder darauf hinaus, daß mein Mann verteidigt wird.«
»Nein«, widersprach Dr. Normann, »sein Verhalten soll überhaupt nicht entschuldigt werden. Aber wir sitzen hier nicht zusammen, um ihn zu verdammen. Psychotherapie bedeutet, die Schuld nicht beim anderen, sondern bei sich selber zu suchen.«
»Ellen«, Stephi Helmer blickte die Frau des Konsuls an, »was würdest du an meiner Stelle tun? Dich abfinden mit der Ehe zu dritt, oder was sonst?«
Ellen Diekenhorsts Antwort kam sehr schnell. »Weißt du, wenn ich sexuell gar nichts empfinden würde, täte ich zumindest so, als ob. Dein Mann braucht es doch gar nicht zu merken, daß du keinen Spaß daran hast.«
»Du meinst also schauspielern, Leidenschaft heucheln?«
»Warum nicht?« meinte Ellen Diekenhorst. »Wenn es deinen Mann glücklich macht und wenn es deine Ehe in Ordnung bringt.«
Stephi Helmers Augen verengten sich. »Ellen, du weißt nicht, wovon du sprichst. Du hast keine Ahnung, wie das ist. Es ist nämlich immer wieder eine namenlose Enttäuschung, verstehst du? Ein Warten auf nichts. Laura, du hast doch das gleiche Problem. Kannst du es ihr besser erklären?«
Laura sprach mehr zu sich als zu den anderen. Sie sah niemand an, auch Normann nicht. »Das Schlimme ist, man bekommt Angst davor, man wehrt sich instinktiv dagegen. Man denkt: Es wird ja doch wieder nichts. Und man wird schließlich wütend auf ihn, man schiebt ihm eine Art Schuld zu. Ja, man denkt sogar, ob es nicht bei einem anderen anders wäre …«
Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen in der Runde. In solchen Momenten ist es Aufgabe des Therapeuten, wieder einzugreifen.
»Sie fangen an, das Problem der Frigidität richtig zu sehen«, sagte Normann. »Und die Einsicht ist schon der erste Schritt zum Ziel. Das Ziel heißt Wandlung.«
Stephi Helmer machte eine abwehrende Handbewegung. »Natürlich sehe ich das alles ein, aber deshalb ändere ich mich doch nicht, Herr Doktor.«
»Was sehen Sie ein?« Seine Frage schoß schnell auf sie zu.
»Daß ich frigid bin. Gefühlskalt, wie es so verdammt unsinnig heißt.«
»So unsinnig ist das gar nicht«, bemerkte Normann. »Denken Sie nur: Kälte, wo Wärme sein sollte. Das höchste Glück in der Ehe findet nicht statt. Das Zusammensein wird zu einem technischen Vorgang.«
»Und wenn man so geboren wird?« wollte Stephi Helmer wissen. »Was kann man denn dafür? So wenig, wie wenn man mit einem Loch im Herzen auf die Welt kommt.«
Dr. Normann schüttelte den Kopf. »Man wird nicht so geboren. Nehmen wir Ihren Fall, Stephi, er kommt leider ziemlich häufig vor …« Er fühlte alle Augen jetzt auf sich gerichtet. »Ihre Eltern waren enttäuscht, daß sie anstatt eines Jungen nur ein Mädchen bekamen. Und, wie schrecklich, sie ließen es die kleine Stephi fühlen. Mit welchem Erfolg?«
Helga Anderssen, die sich bisher überhaupt noch nicht am Gespräch beteiligt hatte, antwortete: »Sie hat es uns ja erzählt. Sie benahm sich wie ein Junge, sie lehnte alles ab, was weiblich war.«
»Ganz recht«, stimmte Normann zu. »Nicht nur Puppen, nicht nur die üblichen Mädchenspiele, auch den langsam sich entwickelnden Busen, alles, was an Weiblichkeit erinnerte, lehnte sie ab. Stephi benahm sich nicht nur wie ein Junge, sie wollte einer sein. Die Natur ließ sich natürlich nicht aufhalten. Stephi wurde trotzdem ein hübsches Mädchen.«
Stephi Helmer preßte die Lippen aufeinander. »Nur der kleine Busen ist mir geblieben«,
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