Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
wollte nicht daran denken, überhaupt nicht an Viktor Riffart. Und doch quälten ihn Zweifel: Was ist, wenn er zurückkommt? Wenn er bereit ist zu vergessen, zu vergeben?
Ihr Puls war gut. Aber die Temperatur war sehr hoch. Fast bei vierzig.
Während er eine Spritze aufzog, bemerkte er fast nebenbei: »Ich möchte nicht, daß du allein bist. Ich bleibe heute nacht hier, und morgen früh schicke ich dir eine Krankenschwester.«
»Geh lieber, Richard«, bat sie ihn.
»Nein«, entschied er, »du brauchst keine Angst zu haben. Ich setze mich ins Wohnzimmer in einen Sessel, da kann ich ganz schön einnicken.«
Laura richtete sich in ihrem Bett auf. »Ich habe Angst, Richard, nicht vor dir – vor meinen eigenen Gedanken.«
Er drückte sie sanft zurück, tupfte am rechten Arm ein Stück Haut ab, setzte die Spritze an. »Du wirst jetzt schlafen, fest und ruhig. Ich verspreche es dir.«
»Und wie wird es sein, wenn ich aufwache?« fragte sie bange.
»Es ist dann Tag, die Sonne scheint, und du wirst manches in einem anderen Licht sehen.«
Hatte sie das überhaupt noch gehört? Das Schlafmittel wirkte schon. Die Augen fielen ihr zu, ihr Atem wurde ruhiger.
»Gute Nacht, Liebling«, sagte er leise, knipste das Licht aus. Die Tür zum Schlafzimmer ließ er angelehnt.
Sie ist durcheinander, dachte er. Sie braucht Zeit. Aber es wird alles gut werden. Es wird eines Tages eine Laura Normann geben, und alles andere wird nicht mehr zählen.
Am Tag darauf kam Konsul Rudolf Diekenhorst in die Praxis des Psychiaters.
»Bitte, Herr Konsul«, sagte Dr. Normann und schob seinem Besucher einen Sessel hin.
»Danke.«
Ein Konsul muß nicht unbedingt einen dicken Bauch haben, dachte Normann. Er kann auch so aussehen, wie Rudolf Diekenhorst: groß, blond, blauäugig, jungenhaft. Wenn man noch in Betracht zog, daß er nicht als Matrose zur See fuhr, sondern daß ihm die Diekenhorst-Metallwerke gehörten, dann hatte Ellen so eine Art Traummann geheiratet.
Dr. Normann verzichtete auf große Vorreden. »Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
»Selbstverständlich.«
»Herr Konsul, halten Sie Ihre Frau für eifersüchtig?«
»Nein.«
»Das Gegenteil davon wäre großzügig«, sagte Dr. Normann.
Diekenhorst lächelte ein bißchen. »Dazwischen liegt wohl das, was man eine glückliche Ehe nennt. Und die führen wir.«
Normann dachte einen Augenblick nach. »Herr Konsul, sind Sie sicher, daß keine andere Frau eine Rolle spielt?«
Aus blauen Augen traf ihn ein kühler Blick. »Ich habe keine Freundin, wenn Sie das mit Ihrer Frage meinen.«
Normann zog aus einer Schreibtischschublade das Krankenblatt von Ellen Diekenhorst heraus. Nach einem Blick auf seine Notizen bemerkte er: »Im Leben Ihrer Frau gibt es einen roten Faden, einen verblüffenden Zusammenhang zwischen Krankheit und Lebenssituation.«
Das Gesicht des Konsuls spiegelte Überraschung wider.
»Die Mutter läßt sich scheiden«, fuhr der Arzt fort, »zieht aus dem Haus aus – und Ellen, vier Jahre alt, bekommt einen juckenden, nässenden, sehr hartnäckigen Hautausschlag. Und dann bekommt sie ein Kindermädchen, das sie sehr bald heiß liebt …«
»Bobby«, sagte Rudolf Diekenhorst schnell.
»Ja, Bobby. Leider heiratet Bobby. Ellen ist zehn und hat wieder jemand verloren – und jetzt leidet das kleine Mädchen unter akuten Asthmaanfällen. Später gibt es eine Schilddrüsengeschichte, eine Periode der Schlaflosigkeit, mal Migräne, mal Magenschmerzen. Die Deutung dieser Krankheiten ist nicht schwer. Immer steckt ein Verlust dahinter, die Angst, wieder jemand zu verlieren: die Mutter, Bobby, ein Kind – den Mann, den man liebt …«
»Tja«, stellte Konsul Diekenhorst kopfschüttelnd fest, »ich muß gestehen, solche Gedankengänge sind mir völlig neu. Und sie erschrecken mich auch. Ist das nicht eine Art von Hysterie?«
»Nein«, widersprach Dr. Normann. »In den entscheidenden Jahren der Kindheit hat Ihre Frau das Gefühl bekommen, daß sie ständig verlassen wird. In diesen Jahren ist die Angst geboren worden, die heute noch unbewußt in ihr steckt.«
»Selbst wenn alles stimmt, was Sie sagen«, wandte Diekenhorst ein, »hilft uns das jetzt weiter? Ich verlasse Ellen bestimmt nicht, niemand sonst verläßt sie, und was sie sich wünscht, wird ihr erfüllt.«
Dr. Normann lehnte sich in seinem Sessel zurück, verschränkte die Arme. »Ich bin trotzdem überzeugt, Herr Konsul, daß vor acht Wochen etwas passiert ist, das sich tief in ihre Seele
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