Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
verwandelt. So steigerte sich in ihm der Drang, auf anderen Gebieten zuglänzen. Jedes Mittel war ihm recht. Hass auf andere ist ein Trick, der Neurosen lindert. Im Krieg hätte er sicher einen guten Soldaten abgegeben, den perfekten Kollaborateur. Allerdings hätte er recht besondere Beweggründe gehabt: Denn er hätte aufgrund der starken Faszination, die die Juden auf ihn ausübten, kollaboriert. Doch das ist ein anderer Roman. Obwohl ich bis auf den Grund seiner Seele blickte, blieben mir die Schweißtropfen, die auf seiner Stirn perlten, nicht verborgen. Manchmal hatte ich Lust, ihn ein bisschen abzutupfen. Manchmal hatte ich diesen irren Gedanken, ich müsse mich ihm bedingungslos fügen, damit er seinen Hass ausleben konnte. Womöglich war ich genauso meschugge wie er. Gab es noch eine andere Erklärung dafür, dass ich so naiv gewesen war? Er führte mir meine eigene Trägheit vor Augen.

    Ich wartete darauf, dass er mir die neue Akte vorbeibringen würde. Auf meinem Schreibtisch lagen noch die ganzen, die japanische Affäre betreffenden Unterlagen. Ich knüllte jede Seite einzeln zusammen und warf sie langsam in den Papierkorb. Alles umsonst. Nach einigen Minuten kam meine Sekretärin herein. Aber war das überhaupt noch meine Sekretärin? Sie erkundigte sich nach meiner Gesundheit. Alles bestens, stammelte ich. Dann meinte sie:
    «Mir tut das sehr leid, was vorgefallen ist. Das haben Sie nicht verdient.»
    «Danke …»
    «Sie sind nämlich ein guter Mensch», setzte sie im Hinausgehen hinzu.
    Womöglich hatte sie das aus Mitgefühl gesagt. Jedenfalls war ich tief gerührt. Ich musste sogar mit den Tränen kämpfen. Seit Tagen rang ich mit Schmerzen und höheren Gewalten, und da schlugen Mathildes einfache Worte eine Bresche der Zärtlichkeit. Sie hatte recht, ich war ein guter Mensch, und ich hatte das nicht verdient. Dennoch würde ich mich mit der neuen Situation abfinden, denn zum Kampf fehlte mir die Kraft. Das zeigte, dass es zu meinen Wesensmerkmalen gehörte, mich vom Lauf der Ereignisse treiben zu lassen und jeglicher Gegenströmung auszuweichen. Ich fühlte mich mehr denn je als Fisch. *
    Mein Schreibtisch war mittlerweile so gut wie leer. Ich hob das Telefon ab, um meine Eltern anzurufen. Meine Mutter kochte wahrscheinlich gerade das Mittagessen, während mein Vater fernsah. Bestimmt regte er sich über die dämlichen Produkte auf, die im Teleshopping präsentiert wurden: «Das ist doch alles Quatsch!» Ich sah das Bild meiner Eltern deutlich vor mir, was ich mir dagegen nicht vorstellen konnte, war, wie die zwei als junges Paar Hand in Hand gingen und ein Kind (mich) haben wollten. Die Liebe der eigenen Eltern zueinander, ihre Jugend und Sorglosigkeit gehören ins Reich der Science-Fiction. Mir kam es vor, als hätten die beiden ihr ganzes Leben in dem momentanen Dekorzugebracht, wie Schauspieler, die dazu verdammt sind, die immergleiche Szene zu spielen und denen jedwede Improvisation untersagt ist. Unter dem Eindruck solcher Überlegungen musste mein Anruf ja in die Hose gehen:
    «Hallo Mama, ich wollte euch für heute Abend zum Essen einladen.»
    «…»
    «Mama?»
    «Heute Abend? Ist das dein Ernst?»
    «Ja, genau. Heute Abend.»
    «… Hast du uns irgendwas Außergewöhnliches mitzuteilen?»
    «Nein, nichts Außergewöhnliches. Ich würde mich nur freuen, wenn ihr mal kommen würdet.»
    «Also, wenn irgendwas los ist, dann sag es lieber gleich.»
    «Aber ich sag doch, es ist nichts.»
    «Willst du dich scheiden lassen?»
    «Also Mama, ich wollte euch nur mal einladen … wenn ihr nicht kommen wollt, auch egal.»
    «Aber nein … wir kommen doch gern. Ich frag nur mal eben deinen Vater, ob er heute Abend nicht schon was vorhat …»
    «Okay …», seufzte ich und tat so, als würde ich ihr abkaufen, dass sie nichts davon wüsste, wenn mein Vater heute Abend etwas vorhätte. Als könnte ich ihr glauben, dass mein Vater etwas vorhaben könnte, ohne meiner Mutter vorher etwas davon gesagt zu haben. Es war nicht die Art der beiden, etwas unabhängig voneinander zu machen.Sie gehörten einer Generation an, für die der Bund fürs Leben wirklich einen
Bund in allen Lebenslagen
bedeutete. Machten Werbung für den Slogan «in guten wie in schlechten Zeiten». Tanzten auf dem Maskenball der Gefühle. Nun tuschelten sie und wogen schnell das Für und Wider meiner Einladung ab. Bei meinem Vater kam immer alles ganz aufs Fernsehprogramm an. Ich glaube, ich hatte Glück: keine Champions League am

Weitere Kostenlose Bücher