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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ich Talent hatte oder nicht, vielmehr um eine Aufgabe, die ich nicht erfüllt hatte. Vielleicht hatte ich in meinem Leben einfach nicht die richtigen Entscheidungen getroffen. Ich las eine ganze Weile in den Aufzeichnungen meines Schwiegervaters, und auch wenn ich nicht alles verstand, war ich in dem Moment doch wie gefesselt.
    Irgendwann fielen mir die Augen zu. Ich schlief im Sitzen ein, den Kopf über das Manuskript gebeugt. Die Träume, die ich hatte, trugen das Gewand der Wirklichkeit. Als ich nach ein paar Stunden wieder aufwachte, ging ich ins Bad, wusch mir das Gesicht und registrierte, dass ich ganz gerötete Augen hatte. Ich ging nach unten und bemühte mich,dabei so wenig Lärm wie möglich zu machen. Im Wohnzimmer war niemand mehr. Eine erstaunliche Stille herrschte in dem Raum, der noch vor ein paar Stunden von so vielen Menschen bevölkert gewesen war. Ich wunderte mich, wie aufgeräumt alles war. Keine Gläser mehr auf den Tischen, und selbst die Kissen auf dem Sofa waren aufgereiht wie in einem Möbelgeschäft. Wer mochte unter den gegebenen Umständen eine solche Ordnung geschaffen haben? Meine Frau wahrscheinlich. Gut möglich, dass sie sich mit Haushaltsführung ablenkte, um den Moment, in dem sie versuchen musste, im Dunkeln einzuschlafen, so lange es ging hinauszuzögern. Ich wankte weiter in die Küche und stellte fest, dass Élise die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte. Da saß sie nämlich auf einem Hocker, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Sie drehte sich gar nicht um, als ich hereinkam. Sie saß reglos da, so versteinert, wie sie am Abend bei uns im Wohnzimmer gesessen hatte. Zum zweiten Mal fiel mir auf, wie sehr sie ihrer Mutter ähnelte. Die war auch in der Küche und stand wie angewurzelt vor der Kaffeemaschine. Sie schien darauf zu warten, dass der Kaffee durchlief, und bemerkte gar nicht, dass er offensichtlich schon seit einer Weile fertig war. Ich beobachtete die beiden einen Augenblick, bis sie Notiz von mir nahmen. Seltsam, wie sie mir dann gleichzeitig den Kopf zuwandten und dasselbe sagten: «Magst du einen Kaffee?»
    Ich trank eine Tasse und bestand dann darauf, dass Mutter und Tochter ins Bett gingen. Ich könne mich derweil schon ein wenig um die behördlichen Angelegenheiten kümmern.
    Sie waren einverstanden und legten sich schlafen. Als Erstes musste ich im Büro anrufen und sagen, dass ich heute nicht kommen würde. Mathilde zeigte eine gewisse Anteilnahme. Doch ein paar Minuten später erhielt ich eine lakonische SMS von Gaillard: «Bitte, uns so bald wie möglich eine Kopie der Sterbeurkunde zukommen zu lassen.» Er gönnte sich also keine Pause. Mich wunderte dieser neuerliche Beweis seiner Niedertracht gar nicht mehr, ich kannte sein wahres Gesicht ja schon. Eigentlich war es mir sogar lieber, wenn er seinen Hass so offen zur Schau stellte. Ich hielt mich damit nicht lange auf. Bevor meine Schwiegermutter nach oben gegangen war, hatte sie mir einen Umschlag überreicht, auf dem schlicht «Beisetzung» stand. Bestimmt hatten sie die unheimlichen Schritte schon in die Wege geleitet, als er den Krebs gehabt hatte. Und nun wurde der Umschlag mit sämtlichen die Beerdigung betreffenden Verfügungen wieder hervorgezogen. Alles war schon bezahlt, alles war genau geregelt. Eines Tages würde ich an der Reihe sein, dachte ich: nicht mit dem Sterben, sondern mit der Auswahl meines Sargs.
    Drei Tage später waren wir alle um das Grab versammelt. Meine Tochter war schon am Tag zuvor gekommen. Auch in diesem traurigen Zusammenhang darf ich ruhig sagen, dass ich mich freute, zwei aufeinanderfolgende Tage mit ihr zusammen zu sein. Mein Sohn war zu seinem großen Bedauern nicht angereist, aber er steckte mitten im Examen. Er war so weit weg und hatte niemanden, mit dem er seinen Kummer teilen konnte. Wir waren in Gedanken auch beiihm. Die bewegende Abschiedszeremonie wäre ihm gewiss zu Herzen gegangen. Meine Frau und meine Tochter hielten sich aneinander fest, wie um sich gegenseitig zu stützen, um nicht umzufallen. Wir trugen einen Mann zu Grabe, der noch so viele Pläne gehabt hatte und viel zu jung gestorben war. Einer seiner Freunde hielt eine kleine Rede, in der er ein oder zwei Anekdoten über ihn zum Besten gab, die uns ein Lächeln abrangen. Jemand meinte: «Es hätte ihm sicherlich gefallen, dass man so von ihm spricht.» Schwer zu sagen, was Toten gefallen würde und was nicht. Jedenfalls war er ein Mann gewesen, dem es gefiel, wenn es heiter zuging, das kann ich

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