Zum Glück Pauline - Roman
weiß, klagte ich ihr mein Leid. Wieder einmal betonte ich, es sei hierfür keine genaue Ursache zu erkennen. Seit über einer Woche war ich wie ein Handlungsreisender in Sachen Rückenschmerzen unterwegs. Ich zog von Arzttermin zu Arzttermin und ersuchte einen jeden, meinem Übel Abhilfe zu schaffen. Die Magnetfeldtherapeutin hörte mir aufmerksam zu und machte sich Notizen. Sie kam mir total normal vor. Ich hatte mir vorgestellt, dass sie da bei Schummerlicht in irgendwelchen ausgefallenen Kleider sitzen würde, mit Tierfellen behängt und mit Schalentieren um den Hals oder so. Ein Alt-Hippie in einem von Kamilleräucherstäbchen geschwängerten Raum. Nichts dergleichen. Alles wirkteganz sachlich. Und die Magnetfeldtherapeutin erinnerte mich eher an eine Berufsberaterin für schwer erziehbare Jugendliche.
Das heißt, das war der erste Eindruck. Schon recht bald fing ich an, sie komisch zu finden. Auf meine einleitenden Worte hin ging sie dazu über, mich wortlos anzustarren. So verging eine ganze Weile. Warum glotzte sie mich so an? War das ihre Art, sich zu konzentrieren? Es brachte mich ganz aus dem Konzept, jemandem gegenüberzusitzen, der mich wortlos anstarrte. Ich hatte das Gefühl, irgendwie schuldig zu sein. Nach einiger Zeit versuchte ich es damit:
«Soll ich mich vielleicht hinlegen?»
«Nein … nicht bewegen.»
So funktionierte das also mit der Magnetfeldtherapie. Die Regenbogenhaut des Patienten wurde mit Blicken durchbohrt. Damit brachte man ihn zur Strecke. Seltsame Methode, ich entspannte mich nicht die Bohne, dafür fühlte ich mich zunehmend unwohl. Aber das war vielleicht Absicht. Sie wollte, dass mir unbehaglich zumute wurde, um so eine körperliche Reaktion bei mir hervorzurufen. Na ja, das war nur eine Theorie von vielen. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was sie da machte. Dann kam sie gemessenen Schrittes auf mich zu, sehr gemessenen Schrittes:
«Machen Sie den Oberkörper frei und legen Sie sich hin …»
«Gut …», sagte ich artig.
Trotzdem wurde mir langsam mulmig. Dieses ganze Tohuwabohu war nicht das Richtige für mich. Die Faszination,die das Übersinnliche auf mich ausübte, ging eigentlich nicht über das regelmäßige Lesen meines Horoskops in der Zeitung hinaus. Mit geschlossenen Augen ließ sie ihre Hände über meinen Körper gleiten. Sie schien innerlich den Gott der guten Besserung anzuflehen. Meine Schmerzen hatten aufgehört. Ich war ganz auf den Wahnsinn des Augenblicks fokussiert. Was würde sie mit mir machen? Ich spürte etwas, aber ich wusste nicht, was. Aber machen wir’s kurz, die Behandlung zog sich doch hin wie ein russischer Roman.
Schließlich trat die Magnetfeldtherapeutin zwei Schritte zurück. Wieder starrte sie mich wortlos an, um dann plötzlich das Verdikt zu sprechen:
«Ihr Leiden hat psychosomatische Ursachen.»
«…»
«Da hilft keine Medizin», lautete ihr Schluss. Damit wandte sie sich im Stile einer Tragödienschauspielerin von mir ab und ließ mich links liegen.
«Das heißt?», presste ich hervor, während ich mich mühsam wieder aufrichtete.
«Viel mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Es gibt keine medizinische Lösung für Ihr Problem.»
«…»
«Sie haben ganz andere Probleme. Sie müssen einige Dinge in Ordnung bringen in Ihrem Leben.»
«…»
«Gehen Sie lieber zum Psychologen oder zum Psychoanalytiker.»
«…»
«Das macht 150 Euro», kürzte sie die Unterhaltung ab.
Ich war sprachlos. Ich spürte, dass sie sich nicht länger mit mir aufhalten wollte. Dass sie ihre Aura nicht mit jemandem wie mir vergeuden wollte. Ich hatte hier nichts mehr zu suchen. Ihre Art gefiel mir ganz und gar nicht. Da konnte doch ich nichts dafür, wenn sie sich für meine Probleme nicht zuständig fühlte. Sie schaute mich an, als wäre ich daran schuld, dass sie ihre Zeit verschwendet hatte. Das war mehr als ungerecht bei dem Preis. Als ich mein Scheckheft herauszog, verzog sie das Gesicht, was so viel bedeutete wie: «Und jetzt wollen Sie auch noch per Scheck bezahlen?» Zum Glück hatte ich auch Bargeld dabei. Endlich eine Materie, die eine Aura besaß, die sich leicht übertragen ließ.
4
Intensität der Schmerzen: 7
Gemütslage: ein bisschen sprachlos, ein bisschen konfus
5
Zwei Minuten später stand ich wie benommen auf der Straße. Ich machte ziellos einige Schritte. Schönes Wetter heute Morgen. Zum ersten Mal seit Langem zeigte sich die Sonne wieder, schon erstaunlich. Sie war noch ganz die Alte, war ihrem Gelb treu geblieben.
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