Zum Glück Pauline - Roman
tolerant, doch sobald es um Alexia ging, wirkte sie eher verschlossen. Ich fand sie oft ungerecht, wenn sie sich über Alexias Exzesse empörte, aber es ist immer schwierig zu begreifen, was sich im Inneren einer Familie tatsächlich abspielt. Als Schwager oder Schwiegersohn ist man ein Element, das
mit in die Familie gebracht
wird, wie man so sagt. Schon bei diesem Ausdruck, der einem den Status eines
Mitbringsels
verleiht, spürt man, was dieses unnatürliche Bündnis letztlich wert ist.
Ich dankte Alexia, zu der ich viel Zuneigung empfand, für ihren heißen Tipp. Dass sie mir solche Empfehlungen gab, fand ich rührend, vielleicht auch etwas befremdlich. Die Schwestern redeten also doch miteinander, sogar über mich. Nur hatte mein Rücken, seitdem ich erfahren hatte, dass mein Schwiegervater tot war, keinen Piep mehr gemacht. Selbst der Schmerz trug respektvoll Trauer und hatte sich auf einen Waffenstillstand eingelassen. Erst als wir im Auto nach Paris zurückfuhren, fiel ich ihm langsam wieder ein. Besonders mühselig wurde es auf den letzten Kilometern, vor allem da ich bemüht war, mir nichts anmerken zu lassen. Meine Frau hatte schon genug unliebsame Dinge am Hals, ich wollte sie mit meinem Leid nicht zusätzlich belasten.
2
Intensität der Schmerzen: 7
Gemütslage: in Versuchung des Übernatürlichen
3
Zwei Tage darauf kam ich also zu spät zu dieser «Magnetfeldtherapeutin», ohne so recht zu wissen, was eine Magnetfeldtherapeutin überhaupt machte. In meinen Augen war sie so etwas wie eine Geistheilerin. Ich stellte mir vor, wie sie mir die Hand auflegen und meine Schmerzen mithilfe mystischer Gebete und übersinnlicher Schwingungen bekämpfen würde. Nichtsdestotrotz waren all meine vagen Hoffnungen an diese Sitzung geknüpft, ein Verzweifelter schließt sich eben der erstbesten Sekte an. Die Schmerzen hatten ein Ausmaß erreicht, angesichts dessen ich bereit war, jedem zu glauben, der mir ein wenig Linderung versprach. Beim Röntgen war nichts herausgekommen, bei der Kernspinuntersuchung auch nicht, der Osteopath hatte meinen Zustand nur verschlimmert, warum also sollte ich es nicht auch einmal mit den absonderlichen Heilmethoden dieser Frau probieren?Auf dem Weg zu ihr fragte ich mich: Wie wird man eigentlich Magnetfeldtherapeut? Hat man eines Tages eine Eingebung? Kann man das lernen? Gibt es vielleicht irgendwo eine Zauberer- und Hexenschule wie in
Harry Potter
? Das musste ein unglaubliches Gefühl sein, Magnetfeldtherapeut zu sein. Man brauchte schon richtige Zauberkräfte. Die bestimmt auch sehr hilfreich waren, wenn man in Paris auf der Suche nach einem Parkplatz war. Mit solchen Betrachtungen versuchte ich mich zu zerstreuen. Denn ich muss zugeben: Das bevorstehende Rendezvous flößte mir reichlich Respekt ein.
Im Wartezimmer saß niemand. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Nach ein paar Minuten kam eine Frau aus dem Sprechzimmer. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, durchschritt sie gemächlich den Raum. Im Film wäre das eine Szene in Zeitlupe. Aber das hier war kein Film. Der Gang dieser Fremden gefiel mir irgendwie, aber ich hätte nicht sagen können, warum. Waren es vielleicht ihre Knie? Ja genau, ihre Knie. Ihre Kugelgelenke tanzten eine Art Rhapsodie. Eine sonderbare Gnade ging von dieser unvermuteten Erscheinung aus. Wie alt mochte sie sein? Schwer zu sagen. Irgendwas zwischen 32 und 47. Im Hinausgehen sagte sie, während ich doch gedacht hatte, sie hätte mich gar nicht bemerkt:
«Sie werden sehen, sie ist ganz wunderbar.»
«Sie sind aber auch ganz wunderbar.»
«Pardon?»
«Ach, äh … nichts …»
Sie deutete ein Lächeln an und verließ den Raum. Wahrscheinlich hielt sie mich für einen typischen Wartezimmer-Casanova. Aber ich war genau das Gegenteil davon. Wie oft hatte ich mich als unfähig erwiesen, einer schönen Frau auch nur irgendetwas zu erwidern? Wie oft waren drei kleine Pünktchen aus meinem Mund ausgetreten? Und jetzt sprudelten die Worte ohne vorherige Absegnung durch das Bewusstsein seltsam aus mir hervor. Anscheinend ein Putschversuch des Körpers, der den Geist stürzen wollte. Das kam bestimmt nicht von ungefähr. Im Wartezimmer wirkte sicherlich ein Magnetfeld. Hier war ich ein anderer. Die von mir selbst erlöste Ausgabe meiner selbst. Es gab keine andere Erklärung für diese Bemerkung: «Sie sind aber auch ganz wunderbar.» In dem Augenblick erschien die Magnetfeldtherapeutin.
Wie ein Sänger, der nur ein einziges Lied zu singen
Weitere Kostenlose Bücher