Zum Glück Pauline - Roman
Hunden große Angst haben?»
«Nein, ich liebe Hunde. Ich habe sogar einen. Der Hund, der mich gebissen hat, steht in meinem Kopf nicht für alle Hunde.»
«Aha, verstehe …», gab ich ihr etwas ausweichend zur Antwort, weil ich nicht ganz sicher war, ob ich richtig verstanden hatte. Egal, sie hätte von mir aus noch stundenlang über Hunde reden können (es gab wohl kein Thema, das mich noch weniger interessierte ** ).
Ich fühlte mich wohl in Gesellschaft dieser Frau. Sie hatte mir gleich gefallen, als ich sie (mit ihren Knien) durchs Wartezimmer schreiten sah. Und jetzt im Sitzen (Knie unter dem Tisch) gefiel sie mir noch genauso gut. Meine Zuneigung war also unabhängig davon, welche Pose sie einnahm. Und mir gefiel auch ihr Gesicht. Es verfügte über eine enorme Bandbreite von Ausdrucksformen. Manchmal wirkte sie ganz brav, extrem brav, wie ein Mädchen, das von einem Schweizer Internat kam, aber dann blitzte plötzlich der Wahnsinn in ihrem Blick auf, oder der Witz, und dann kam sie mir wie eine Russin vor. Wir redeten über Gott und die Welt, und die Zeit rauschte in Windeseile an uns vorüber. Trotzdem hatte ich irgendwie das Gefühl, dass wir nichts Wichtiges redeten. Vielleicht ist das so, wenn man mit Menschen zusammen ist, die man mag. Es musste bei diesem unvermuteten Zusammentreffen ja gar nichts herausspringen, wir mussten nichts Tiefgründiges reden. Wir ließen uns einfach von den Worten und den zufälligen Einfällen treiben, und dieses Treibgut formte sich zu einer der schönsten schmerzfreien Stunden.
Nach einer Weile verließen wir das Café, wir tauschten keine Telefonnummern aus, wir hatten nicht einmal unsere Namen gesagt. Diese Begegnung würde sich nicht fortsetzen. Wir würden uns nie mehr wiedersehen.
* Dass ich meine Frau als Sonderfall ansehe, versteht sich von selbst.
** Außer der Formel 1 und archäologischen Museen.
6
Intensität der Schmerzen: 2
Gemütslage: halb schweizerisch, halb russisch
7
Seit ein paar Tagen lebte ich nur noch von einer Stunde auf die nächste. Nachdem ich in meinem bisherigen Leben immer alles genau geplant hatte, hingen die Verabredungen, die ich jetzt traf, allein von meinem Zustand und meiner Laune ab. Als sich die sanfte Euphorie über die schönen Augenblicke mit der Unbekannten gelegt hatte, kamen die Schmerzen wieder. Ich musste mich nach einem Psychoanalytiker umsehen. Gemäß dem Standpunkt, der in dem halbbourgeoisen Milieu, in dem ich verkehrte, zirkulierte, dass sich ein jeder früher oder später analysieren lassen müsse, hatte ich – ohne so recht zu wissen, warum – wie viele andere Leute schon länger mit einer Psychoanalyse geliebäugelt. Am Ende hatte ich es immer sein lassen. Vielleicht, weil ich Angst hatte. Psychoanalytiker machen mir Angst. Im Übrigen nennt diese Leute ja niemand beim Namen. Mansagt immer, man habe eine Verabredung, man sagt nie: «Ich gehe jetzt zur Psychoanalyse.» Eine Verabredung zu haben heißt zum Analytiker zu gehen. Nun ja, und ich hatte noch nie eine Verabredung mit jemandem, der mir gesagt hätte, wer ich wirklich war.
Wie es der Achterbahnfahrt meiner Gefühlslagen gebührte, machte sich wieder Panik in mir breit. Nach und nach war ich von allen Wegen der Genesung abgeschnitten worden. Um mich an etwas Konkretem festzuhalten, dachte ich an mein aktuelles Projekt. Ich klammerte mich an diesen Parkplatz wie die Medusa an ihr Floß. Doch es bestand überhaupt keine Eile, dieses Unternehmen voranzutreiben. Es interessierte auch niemanden im Büro, wie es darum stand. Man hatte mich aufs Abstellgleis geschoben. Ein sehr anschaulicher und treffender Ausdruck. Auf diesem Abstellgleis würde ich warten, bis ich wieder abgeholt wurde und mein Berufsleben in einem möglichst würdigen Rahmen fortsetzen durfte.
Im Büro wurde ich mit konsterniertem Schweigen begrüßt. Die Kollegen redeten nicht mehr mit mir, als hätte ich eine Seuche oder als wäre der soziale Abstieg eine ansteckende Krankheit. Gaillard hatte hinter meinem Rücken sicherlich Stimmung gegen mich gemacht. Es musste ihm Spaß machen, das Ausmaß meiner Schmach immer weiter auszudehnen. Seit der berühmt-berüchtigten Besprechung hatte er Oberwasser bekommen. Verbreitete Angst und Schrecken. Die Einzige, die mir mit unveränderter Herzlichkeitbegegnete, war Mathilde. Bar jeglicher falscher Ambitionen wich sie nie von ihrem Prinzip ab, kühlen Kopf zu bewahren. Wie beim letzten Mal kam sie auf mich zu, um mir Hallo zu
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