Zum Glück Pauline - Roman
…»
«Ich kann die Dinge in Ruhe auf mich zukommen lassen?»
«Ja, also … das ist doch eine gute Nachricht, oder?»
«Ja, doch … eine sehr gute Nachricht … danke … für alles, was Sie für mich getan haben …»
«Keine Ursache.»
«…»
«…»
«Wir werden Sie vermissen», sagte er noch und legte auf.
Ich blieb einen Augenblick still sitzen. Das war ein komisches Gespräch gewesen. Audibert hatte schon angedeutet, dass er alles unternehmen werde, um die Angelegenheit auf diese Art zu lösen, aber sein herzlicher Umgangston hatte mich doch verwundert. Man könnte diesen Ton auch liebevoll nennen. «Wir werden Sie vermissen», unfassbar, aber das hatte er gesagt. In den zehn Jahren, in denen ichfür ihn gearbeitet hatte, war er nie so liebenswert gewesen, auch wenn er nie unangenehm geworden war. Er hatte zu seinen Angestellten immer eine gewisse Distanz gewahrt und ließ keine freundschaftlichen Beziehungen aufkommen. Jetzt wurde mir klar, dass das Teil einer beruflichen Taktik war. In Wirklichkeit war er ganz anders. Wenn er am Morgen ins Büro kam, verstaute er sein eigentliches Wesen in seinem Köfferchen. Die Arbeit war ein Staat im Staat. Eine Welt des Scheins, in der man sich auf die Kunst der Verstellung zu verstehen hatte und in der jeder eine seiner Funktion entsprechende Rolle spielte. In dem Moment, in dem ich aus dem Spiel ausschied, kapierte ich seine Regeln. Zu meinen grundlegenden Charakterzügen gehörte sicherlich: dass ich der Wirklichkeit immer etwas hinterherhinkte. * Als ich gearbeitet hatte, hatte ich die Sache nicht durchschaut, das war mein Problem. Natürlich ging ich nicht jedem und allem auf den Leim, so war es nun auch wieder nicht, aber indem ich ohne Tarnung durch die Büroräume schlich, verschloss ich letztlich vor mancher Intrige die Augen. Ich spürte keine Reue, ich erfüllte eben nicht die Voraussetzungen, um die Karriereleiter weiter hinaufzuklettern. Ich war eben kein großer Diplomat und auch kein großer Schauspieler, ich hatte kein Talent, in die Rolle eines anderen hineinzuschlüpfen. Ich war nicht begabt darin, die Dinge zwischen den Zeilen herauszuhören, ich war auf ewig dazu verdammt, ich selbst zu bleiben.
Ich brauchte noch ein paar Minuten, bis ich verstand, was diese Unterhaltung jetzt konkret bedeutete: Offensichtlich würde ich eine größere Geldsumme beziehen. Und mir würde auch Arbeitslosengeld zustehen. Einige Tage nachdem mir Élise von dem Scheck ihres Vaters erzählt hatte, schickten sich die finanziellen Nöte weiter an, sich in nichts aufzulösen. Von der Abfindung würde ich zwei oder drei Monate leben und mich dem Nichtstun hingeben können. Aber ich wollte nicht nichts tun. Immerhin war ich nicht in Eile. Ich überlegte, was ich mit dem Geld anfangen könnte, aber mir fiel nichts ein. Ich hatte keine Bedürfnisse, kein Verlangen. Vielleicht sollte ich irgendwohin fahren? Keine Lust. Der Gedanke daran, in meinem Zustand eine Reise zu machen, stresste mich schon jetzt. Es gab keine Wünsche, die ich mir erfüllen wollte. So war es eigentlich schon immer gewesen. Im Geldausgeben war ich nie sonderlich gut gewesen, nicht weil ich geizig war, sondern weil mir jegliches Konsuminteresse fehlte. Dass es einmal eine solche Zeit in meinem Leben geben würde, hätte ich mir nie träumen lassen: keine Frau, keine Kinder, keinen Beruf, keine finanziellen Sorgen. Wie oft würde es solche Perioden geben? Ich hatte noch keine erlebt. Es lag ein nie dagewesenes Leben vor mir.
Jahrelang waren die Gedanken ans Geld, an die Steuer, an all die Rechnungen, die zu bezahlen waren, eine große Belastung für mich gewesen. Oft war ich mitten in der Nacht aufgewacht, weil mein Kopf im Traum weiterrechnete. Ich überschlug die anstehenden Kreditraten, schwanktezwischen verschiedenen Anlageoptionen, ermittelte meine neue Steuerklasse nach dem jüngsten Regierungswechsel, kalkulierte mit Schrecken die Beitragserhöhung der Krankenkasse mit ein, und dann kam mir plötzlich die Gasrechnung in den Sinn und die Autoversicherung, das Schulgeld für Paul und die ganzen Geburtstage, die alle Leute ständig hatten, und Élise, die immer wieder fragte: «Wann streichen wir endlich das Badezimmer?» Mir gingen andauernd solche Sachen im Kopf herum, aber auf eine irgendwie diffuse Art, ich merkte es nicht einmal, im Stillen zog die Angst unbeirrt ihre Kreise. Komisch, dass mir erst jetzt, da ich von meiner finanziellen Unabhängigkeit erfuhr, klar wurde, dass ich mich all
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