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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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verflüchtigten sich die Fantasien, als Édouard aufkreuzte. Indem das geliebte Wesen einen Zahnarzt ehelicht, ist es vorbei mit der Liebe, das ist so ein Allheilmittel. Da wandert die Begierde schnurstracks ans andere Ende der erotischen Welt aus. Und nun mühte Sylvie sich ab, um das längst erloschene Feuer in mir neu zu entfachen, sie blies leidenschaftlich in die kalte Asche. Um sie nicht noch weiter zu reizen, brachte ich ein schlagendes Argument vor, ein Argument, mit dem ich es umging, ihr zu sagen, dass ich keine Lust hatte. «Das können wir Édouard doch nicht antun», versuchte ich immer wieder, auf sie einzuwirken. Nach einer Weile holte sie dieWirklichkeit oder vielleicht auch die Scham ein, und sie ließ ab von mir. Ich glaube, sie überlegte einen Augenblick, ob sie sich jetzt wortlos verziehen sollte, doch schließlich stammelte sie:
    «Tut mir leid. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist.»
    «Macht nichts.»
    «Am besten, du streichst meinen Anfall einfach aus deinem Gedächtnis.»
    «Ja, ja natürlich …»
    Sie stand langsam auf, verließ dann aber sehr schnell das Zimmer.

    Sie sah es also als einen kurzzeitigen Anflug von Wahnsinn an. Ein unbeherrschbarer und insofern verzeihlicher Trieb sei über sie gekommen. Dafür konnte sie nichts. Ein körperliches Missgeschick. Mir kam ihr Überfall irgendwie wie eine Verzweiflungstat vor, wie ein Hilferuf. So wie die einen im Affekt Selbstmord begehen, handeln andere im erotischen Affekt. Ich will damit nicht sagen, dass eine Frau mit dem Leben abgeschlossen haben muss, wenn sich in ihr das Bedürfnis regt, mit mir zu schlafen, nein, das nicht. Aber irgendwie hatte ich den Eindruck, dass Sylvie die Segel gestrichen hatte. Es mussten schreckliche Zweifel an ihr nagen. Sie war in einem Alter, das keines war. Zu jung, um schon alt zu sein, und zu alt, um noch jung zu sein. Die Signale ihres Körpers waren unüberhörbar. Jedenfalls gab ihr die Geschichtemit mir zu denken. Und mit den Schlussfolgerungen, die sie daraus zog, sollte sie uns bald alle überraschen.

    Ein paar Minuten später kam ich in die Küche. Sylvie saß reglos auf einem roten Hocker. Ich ging auf sie zu und packte sie an den Armen, um sie hochzuziehen. Wir standen uns gegenüber, schauten uns einen Augenblick an und begannen dann zu lächeln. Ich schloss sie in meine Arme. Das Resümee einer zwanzigjährigen Freundschaft. Wir verharrten eine Weile in dieser Umarmung. War alles nicht so schlimm.
     
       * Das sind auch zwei Sachen, die man nicht unter einen Hut kriegt: ein Arzt und eine leserliche Schrift. Würde mich interessieren, warum das so ist.

10
    Intensität der Schmerzen: 0,5

Gemütslage: auf der Flucht

11
    Als ich aufbrach, um Édouard zum Mittagessen zu treffen, nahm ich sämtliche Sachen mit. Sylvie verstand, ich musste ausziehen. Irgendwo anders unterkommen. Ich wusste noch nicht, wo, aber mir gefiel dieses Gefühl der Ungewissheit. Es kam bei mir ja nicht alle Tage vor, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich in dieser Nacht schlafen würde. Ich war wie ein Vagabund. Aber wahrscheinlich würde ich mir ein Hotelzimmer nehmen, ich machte mir eigentlich keine großen Sorgen. Ich schob alle Steine, die auf meinem Weg lagen, locker beiseite, mein Rücken würde es mir hoffentlich danken. Die seltsame Gelassenheit, mit der ich die Dinge anging, ließ mehr denn je darauf schließen, dass mein Leiden psychosomatischer Natur sein musste. Sollte es mir gelingen, mich zu entspannen und meine Probleme in den Griff zu bekommen, würden sicher auch die Schmerzen verschwinden.
    Aber natürlich hatte ich es mit einem hinterhältigen Feind zu tun. Ich brauchte mich nur der leisesten Hoffnung auf Heilung hinzugeben, schon spürte ich wieder Stiche im unteren Rückenbereich. Mein Rücken raunte mir zu: «Nein, es ist nicht vorbei.» Es war wie mit der Schuld bei Raskolnikoff. Ich musste mich
in Geduld üben
, ich verstand diesenAusdruck besser denn je zuvor. Die Stunden des Glücks ließen noch ein Weilchen auf sich warten. Doch jedes Mal, wenn die Schmerzen wiederkamen, war ich tiefer am Boden zerstört. Es gibt nichts Niederschmetternderes als den Rückfall (allein das Wort ist schon schrecklich). Wenn man glaubt, das Tal bereits durchschritten zu haben. Ich setzte mich auf eine Bank und sah zu, wie mein soeben noch vorhandener Gleichmut entschwand wie ein Unbekannter in einer Menschenmenge. Das Wohlgefallen löste sich auf. Meine Stimmung schwenkte radikal um. Sie wogte mit dem

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