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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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hinübergerettet. In dem Punkt waren wir uns übrigens ähnlich. Bei aller beruflichen Verantwortung, die wir trugen, blieben wir vorunserem Alter doch geradezu ungläubig stehen, und das verband uns. Wir waren nie wirklich auf den Zug der Seriosität aufgesprungen. Zum Beispiel gehörten wir beide der seltenen Spezies von Männern an, die mit Krawatte immer irgendwie lächerlich aussahen.
    Doch zur Hauptsache. Édouard wollte mir von seiner Idee erzählen.
    «Es geht um deinen Rücken», begann er.
    «…»
    «Also … ich denke, du hast schon viele Behandlungsmethoden ausprobiert … aber du bist noch nicht zum Eigentlichen vorgedrungen.»
    «Aha? Und was ist das?»
    «Das Wichtigste im Leben eines Mannes ist, dass er sexuelle Spannungen abbaut.»
    «…»
    «Du hast ja schon angedeutet, dass bei Élise und dir zum Schluss nicht mehr so viel gelaufen ist im Bett.»
    «Na ja … es ging so.»
    «Und jetzt, wo ihr getrennt seid, solltest du dir das mal durch den Kopf gehen lassen.»
    «Was, meinst du, sollte ich mir durch den Kopf gehen lassen?»
    «Du warst bei verschiedenen Ärzten, hast Psychoanalyse und Magnetfeldtherapie und was weiß ich was noch alles gemacht. Aber keine Behandlung schlägt an. Du brauchst richtig professionelle Hilfe.»
    «Professionelle Hilfe … wobei?»
    «Beim … Sex», flüsterte er und schaute sich um, obwohl das Restaurant doch fast leer war.
    «Du spinnst wohl! Ich hab überhaupt keine Lust.»
    «Es geht nicht darum, ob du Lust hast oder nicht. Es geht um deine Gesundheit. Du brauchst Sex … hemmungslosen, bestialischen Sex.»
    «…»
    «Tu nicht so, als hättest du noch nie mit dem Gedanken gespielt.»
    «Also, ehrlich gesagt, spiel ich nicht allzu oft mit dem Gedanken. Ich war eigentlich ganz glücklich mit meiner Frau. Und jetzt gerade hab ich genügend andere Probleme, ich will mich auf überhaupt kein Abenteuer einlassen.»
    «Du sollst dich auch gar nicht auf ein Abenteuer einlassen. Das ist ’ne Sache von einer Stunde. Dann zahlst du und gehst.»
    «Hast du das schon mal gemacht?»
    «…»
    «…»
    «Ich? Ob ich das schon mal gemacht habe?»
    «Ja, du.»
    «Natürlich nicht, du weißt doch, wie mit Sylvie die Post abgeht.»
    «Ja, ja … ich weiß», sagte ich, um ihn nicht zu verdrießen. In seinem Blick war nicht der geringste Zweifel an der Wahrheit der eigenen Worte zu lesen. Die Wirklichkeit lässt sich schon mal von der Überzeugungskraft einer Lüge einwickeln; und irgendwann geht die Lüge als Wahrheit durch.
    Während des Essens gab Édouard alles, um mir seine grandiose Idee schmackhaft zu machen. Allmählich kam ich ins Grübeln. Hatte ich wirklich ein so erfülltes oder doch wenigstens achtbares Sexualleben? Oder war die Liebe nur ein sinnloser Akt, der die Sinne betäubte? Nach dem Sex war ich meistens müde. Ich wollte nach dieser körperlichen Wohltat, dieser befreienden Erholung schlafen. War das vielleicht nicht genug? Die Unterhaltung mit Édouard brachte mich ins Wanken. Womöglich rührte mein Dilemma von einem gar nicht wahrgenommenen Frust her? Auch wenn mein Verlangen nach meiner Frau nachgelassen hatte, hatte ich doch nicht das Gefühl gehabt, dass mir etwas abging. Ich liebte die Frauen, ich sah sie gern an, aber ich jagte nicht irgendwelchen Abenteuern hinterher. Ich konnte mir auch vorstellen, bis zur nächsten Liebschaft ohne Sex zu leben, das würde mir überhaupt keine Probleme bereiten. Ich hatte ganz andere Sorgen. Die Hartnäckigkeit meiner Schmerzen hatte die Abteilung Lust in den Hintergrund gedrängt. Was Édouard sagte, stimmte vielleicht. Schon möglich, dass die Schmerzen durch Küsse, Zärtlichkeiten und Wollust vergingen. Und wenn die Lösung all meiner Probleme im Körper eines anderen steckte?
    Man musste nur ein wenig in die Geschichte zurückgehen, um sich bewusst zu machen, wie sehr die sexuelle Befreiung die Antwort auf alle Probleme war. Die Sache war ganz einfach: Bei jeder Krise lockerten sich die Sitten ein wenig mehr. Die Ölkrise ebnete der Legalisierung der Abtreibung den Weg (1974). Die strengen Moralvorstellungen, die nachdem allgemeinen Preisanstieg 1984 herrschten, wurden durch die ersten Pornos im Fernsehen versüßt. Und so weiter bis in unsere Zeit, die ja auch von einer heftigen Krise gebeutelt wird. Was machen die Leute? Sie besinnen sich auf die Liebe. Heiraten so viel wie nie zuvor. In Paris bieten Unbekannte auf der Straße Gratis-Umarmungen an, die
free hugs.
Es muss wirklich schlecht um eine Gesellschaft

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