Zum Glück verführt: Roman (German Edition)
beobachtete den Moderator im Frühstücksfernsehen, der völlig unbeteiligt die Todesnachricht
herunterleierte. Und fragte sich, wann Lyon die Medien offiziell vom Tod seines Vater informiert hatte.
»Nachdem der Präsident von General Ratliffs Ableben erfuhr, hielt er die folgende Ansprache.«
Andy lauschte dem US-Präsidenten, der den General im Ruhestand würdigte. Gleichwohl hatte der Mann, den er als hoch dekorierten Kriegshelden hervorhob, keine Ähnlichkeit mit dem betagten Gentleman, den sie hatte kennen lernen dürfen. Noch am Vortag hatte sie mit ihm geplaudert, über seinen Sohn und ihre tiefen Gefühle, die sie für Lyon empfand. Er hatte ihre Finger genommen und sie gedrückt, sie zwischen seine altersschwachen, zitternden Hände gepresst. Ihr mit einem beschwörenden Blick signalisiert, dass er ihre Liebe zu Lyon von ganzem Herzen unterstützte.
»Lass mich rein.« Les trommelte wie ein Irrer gegen die Tür, und Andy schrak zusammen.
»Eine … eine Minute noch.«
Es hatte ohnehin keinen Zweck, die unangenehme Enthüllung noch länger hinauszuschieben. Sie angelte sich ihren Bademantel vom Fußende und streifte ihn über. In diesem Moment wäre ihr eine Eisenrüstung mit Stacheln verdammt lieber gewesen, überlegte sie. Sie glitt zur Tür und öffnete ihrem Boss.
»Seit wann weißt du es?«, fuhr er sie unumwunden an.
»Seit gestern Abend.« Wozu sollte sie ihn belügen? »Er starb kurz vor meiner Abfahrt.«
»Und du hast es nicht für nötig gehalten, mich darüber zu informieren?«, brüllte Les.
»Was hätte dir das gebracht?«
»Was mir das gebracht hätte? Verflucht noch mal, tickst du nicht mehr richtig im Oberstübchen, oder bist du jetzt völlig durchgeknallt?«
Sie ignorierte seine Beleidigung. Lief zu einem der Sessel, warf sich hinein und stemmte die Stirn vor die angezogenen Knie. Sie sah es noch genau vor sich, wie General Ratliff sie das letzte Mal angeschaut hatte. Er hatte gewusst, dass er sterben würde. Schweigend hatte er Abschied von ihr genommen.
»Andy, was zum Teufel ist mit dir los?«
Als sie Les’ pampige, dämliche Frage registrierte, musterte sie ihn abwesend, mit umwölkten Augen. Nach ein paar Sekunden fokussierte sie sein Gesicht. »Les, ein Mann, den ich sehr bewundert habe, ist tot. Wie kannst du da noch fragen, was mit mir los ist?«
Sein Blick schweifte zu dem Fenster mit den geschlossenen Vorhängen, die kein Sonnenstrahl durchdrang. »Ich weiß, dass du ihn bewundert hast, trotzdem war und bleibt er eine Person des öffentlichen Lebens, und wir sind Journalisten, okay? Der TV-Moderator vorhin hat auch nicht geheult, als er die Nachricht verlas, Andy. Ist dir eigentlich nicht klar, dass wir auf einer Goldmine sitzen?«
Sie schüttelte den Kopf. Les trat ans Fenster und öffnete die Vorhänge. Das Sonnenlicht traf schmerzhaft
hell auf ihr Gesicht. Sie beschattete mit der flachen Hand ihre Augen. »Wie … was … eine Goldmine?«
»Überleg doch mal, Andrea. Los, streng deine grauen Zellen an! Wir besitzen die einzigen Interviews, die General Ratliff je gegeben hat, seit er sich in diesem Kuhkaff eingebunkert hatte. Jetzt ist er tot, und wir verfügen über stundenlange Gespräche mit ihm. Weißt du, was das bedeutet?«
Sie nahm die Füße vom Sessel und stand auf. Schlenderte zum Fenster, spähte hinaus in einen traumhaften Tag. Für Lyon war er alles andere als traumhaft. Er würde Formalitäten erledigen, sich um eine Beerdigung kümmern müssen.
»Andy?«
»Was?«
»Hörst du mir überhaupt zu?«
Sie kämmte sich mit den Fingern durch die vom Schlaf zerwühlten Haare. »Du hast mich eben gefragt, ob ich mir im Klaren darüber bin, welche Bedeutung die Tapes von General Ratliff haben.«
Les zischte einen gedämpften Fluch. »Also gut, dann lass mich mal Klartext reden. Du hast dich aus irgendwelchen persönlichen Sympathien für den General nicht getraut, ihm gehörig auf den Zahn zu fühlen, was ich dir vermutlich nie ganz verzeihen werde. Trotzdem, ich habe die Interviews und plane, die Bänder an den Sender zu verkaufen. Und zwar für schweinemäßig viel mehr als die Peanuts, die wir seinerzeit
dafür ausgehandelt hatten. Mensch, Andy, mit der Story haben wir das große Los gezogen. Das öffnet uns die Türen zu einer steilen Karriere, und wenn du nicht mitmachst, zieh ich die Sache allein durch.«
»Moment mal, Les.« Sie hielt beschwörend eine Hand hoch, rieb sich mit der anderen den verspannten Nacken. Wieso kam er ihr jetzt damit?
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