Zum Glück verführt: Roman (German Edition)
Fernsehen ausgestrahlt werden konnten. Ihr fiel es partout nicht ein. Eine Hand umklammerte den Canvasbeutel, mit der anderen bedeckte sie konsterniert ihren Mund. »Oh, Les«, hauchte sie.
»Was ist denn?«
»Die … die Einwilligungserklärung. Ich hab Michael Ratliff nie eine unterzeichnen lassen.«
Sie schrak zurück, als sie das mordlustige Glitzern in Les’ kalten, blauen Augen gewahrte. »Das kann nicht dein Ernst sein, Andy. Versuch dich zu erinnern. Du hast in deiner Karriere noch kein einziges Interview gemacht, ohne vorher die Genehmigung einzuholen. Also, verdammt noch mal, wo ist der blöde Wisch Papier?« Er war zunehmend lauter geworden und tobte mittlerweile wie ein Irrer.
»Ich hab keinen«, brüllte sie zurück. »Ich weiß noch, dass ich zu Beginn der Aufnahmen darauf gedrängt habe voranzumachen, weil der General schnell ermüdete. Gil hatte blöderweise Probleme mit dem Kabel, du entsinnst dich? Deshalb verzögerte sich das Ganze. Nachher dachte ich, stör den alten Herrn jetzt nicht. Das mit dem Revers kannst du auch später noch erledigen. Dabei ist es leider geblieben.«
Er schlug mit der Faust auf seinen Handteller, und Andy hörte Wörter, die sie noch nie von ihm gehört hatte. Dabei war sie überzeugt gewesen, sein gesamtes Repertoire bereits zu kennen. Er baute sich vor ihr auf. »Du lügst mich doch nicht an, oder? Wenn das ein Trick ist oder so …«
»Nein, großes Ehrenwort, Les. Ich hab nichts Schriftliches.«
»Typisch Lyon. Der Bursche ist ein gewiefter Hund. Der weiß, dass er uns am Arsch kriegen kann, wenn wir die Interviews senden. Und selbst wenn er nicht den entsprechenden Einfluss hätte, würde der Sender sich die Finger an der Sache nicht verbrennen wollen und dankend ablehnen. Dir bleibt also nichts anderes übrig, als noch mal hinzufahren und ihn den Schrieb unterzeichnen zu lassen.«
»Nein.«
»Was heißt hier nein?«
»Nein heißt nein. Jedenfalls nicht mehr vor der Beerdigung.«
»Die ist morgen«, brüllte Les.
»Stimmt. Meinetwegen fahre ich danach hin. Gut möglich, dass Lyon mich nicht mal mehr reinlässt.«
Les fixierte die Tasche in ihrer Hand. Nachdenklich zog er die Unterlippe in den Mund und bog seine Finger, bis die Gelenke knackten. »Falls du mit dem Gedanken spielst, ob du dir diese Tapes gewaltsam aneignen und einen Revers fälschen sollst, vergiss es ganz schnell. Ich würde dann nämlich umgehend beim Sender anrufen.«
»Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen«, meinte er mit einem teuflischen Grinsen.
»O doch, das seh ich dir an der Nasenspitze an«, versetzte sie spitz. »Los, ruf deinen Kontakt an und erklär ihm, dass er die Interviews erst nach der Beerdigung haben kann. Und dann nerv mich gefälligst nicht länger.«
Er stand an der Tür, die Hände locker auf den Hüften, und musterte sie für eine lange Weile. Schüttelte ratlos den Kopf. »Du hast dich verändert, Andy. Ich begreif nicht, was mit dir los ist.«
»Stimmt, Les. Das kannst du auch nicht begreifen.«
Sie verbrachte den ganzen Tag im Bett, eine kalte Kompresse auf der Stirn. Vorher schloss sie noch die Tapes in ihren Koffer ein und versteckte den Schlüssel. Außerdem verriegelte sie ihre Zimmertür von innen. Natürlich vertraute sie Les, beschwor sie sich, aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Da sie in der Nacht zuvor kaum geschlafen hatte, döste sie immer wieder ein. In diesem Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachen hatte sie Wachträume. Glühende Fantasien, in denen sie und Lyon die Hauptakteure waren.
Am frühen Abend sah sie sich im Fernsehen die Berichte an, die aus Anlass von General Ratliffs Tod ausgestrahlt wurden. Wie Les prognostiziert hatte, war die Zufahrt zur Ranch von Reportern und Fotografen umlagert. Die Polizei hatte sogar Absperrbarrikaden aufgestellt, um die Schaulustigen zurückzuhalten. Mit Ausnahme der Nachbarn und der Veteranen, die im Zweiten Weltkrieg unter Ratliffs Kommando gedient hatten, durfte niemand die Tore passieren. Viele legten Blumensträuße ab.
Andys Herz krampfte sich zusammen, als Lyons Gesicht über den Bildschirm flimmerte. Er kam ans Tor, um vor der Presse ein Statement abzugeben. Im Gespräch mit den Trauernden, die gekommen waren, um seinem Vater die Reverenz zu erweisen, zeigte er sich verständnisvoll, mitfühlend, ernst.
Er trug einen dunklen Anzug mit weißem Hemd und schwarzem Binder. So hatte Andy ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Seine Haltung, seine Gefasstheit und die
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