Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
Feldern in unserer Umgebung ein. Gelegentlich trafen sie auch einmal den Green Beach selbst. Das seien Zufälle, wollte man uns weismachen. Eigentlich seien sie als Teil der Auseinandersetzungen zwischen den Bürgerkriegsparteien für jemand anderen bestimmt gewesen. Das Ganze war ein übler Trick, um uns keine Feindbeschuss-Prämie auszahlen zu müssen. An polierten Tischen in Washington hatte man beschlossen, dass dies kein Feindbeschuss war. Es war etwas vergleichsweise Harmloses, Nettes, und es steckte überhaupt keine Absicht dahinter. Auf der anderen Seite der Erde wusste man also genau, auf wen die Drusen eigentlich schießen wollten.
Waffenruhen kamen und gingen. Gleichzeitig gerieten die amerikanischen Stellungen immer häufiger unter Feuer. Was jedoch jenseits unseres Stacheldrahtzauns geschah, ging uns nichts an, und was immer in unserem Sektor landete, wurde großherzig hingenommen, wie es sich für einen Friedensstifter gebührte.
Wenn man jedoch in einem Schützenloch entlang des Schutzzauns steckte, betrachtete man diese »Irrläufer« mit etwas weniger Gleichmut. Plötzlich gab es auf den Höhen einen roten, geräuschlosen Blitz, der auf den ersten Blick wie ein kurzer Lichtschein unter vielen anderen wirkte. Der Kenner wusste jedoch sofort, worum es sich handelte. Es bedeutete, dass gerade eine raketengetriebene Granate abgefeuert worden war und man ab jetzt nach dem verräterischen roten Glühen der durch die Luft fliegenden Granate Ausschau halten musste. Wenn die RPG quer durch dein Sichtfeld flog und für jemand anderen bestimmt war, schien sich das Geschoss relativ langsam zu bewegen, ein roter Punkt, der wie ein unglaublich fetter, todbringender Mann über den Himmel seinem Ziel entgegenkroch. Aber sogar wenn sie direkt auf einen selbst abgefeuert worden war, konnte man sie manchmal kommen hören. Erst wenn die Granate bereits den halben Weg zurückgelegt hatte, schallte das Startgeräusch, eine Art » bumpf «, von den Bergen herüber. Wenn man den Abschuss beobachten konnte, hatte man noch genug Zeit, in Deckung zu gehen. Wenn man ihn jedoch nicht gesehen oder gehört hatte, würde man erst die zerstörerische rote Druckwelle der Explosion wahrnehmen.
Während wir schwitzend in unserer Stellung auf den Einschlag der Granate warteten, schien die Zeit stillzustehen. Nach dem Verklingen des Abschussgeräuschs wurde die Nacht wieder ganz ruhig. Nur noch unser Herzklopfen und unser heftiger Atem waren zu hören. Manchmal gab es gar keine Explosion, manchmal schlug die RPG auf der Betonlandebahn auf und hopste dann durch die Gegend. Manchmal schlug sie in den weichen Sandboden am Ufer ein, ohne zu detonieren. Dann kam nichts mehr, als ob jemand zuerst einen Schalter umgelegt und dies dann wieder rückgängig gemacht hätte. Manchmal explodierte die Granate weit von der eigenen Stellung entfernt. Ganz langsam öffnete man danach die Augen. Man kam allmählich wieder zu sich und begriff, dass man noch am Leben war. Die Hügel waren dann ganz besonders still. Während der Rauch abzog, tauchte ein einziges Wort aus den Tiefen des Gehirns auf: »Irrläufer«.
Bevor wir die Namen der Mitspieler kannten, waren die bösen Jungs nur eine gesichtslose Masse. Sie gehörten einfach zu einer der halben Dutzend Milizen, die gegen die libanesische Armee kämpften. Wenn wir auf sie feuerten, nannten wir sie im Spaß »Jake und Abdul, the Druze Brothers«. Im Laufe des Sommers sollte sich das jedoch ändern. Wir kannten jetzt einen dort oben auf den Bergen. Sein Name war »Wally«, und er beobachtete uns ständig. »Wally« war der Führer der Drusenmiliz Walid Dschumblat. Wir konnten uns gut vorstellen, wie Dschumblat uns mit seinen hervorstehenden, wässrigen Eulenaugen beobachtete, unsere Bewegungen registrierte, uns mit Granaten beschoss, die Stellung wechselte und dann erneut auf uns feuerte. Es war sein Spiel und wir waren gezwungen mitzuspielen.
Der Song »I’ll Be Watching You« von The Police wurde zu unserer heimlichen Hymne. Wenn die lokalen Radiostationen oder der mobile Radiosender der Navy am Flughafen ihn spielten, sangen wir laut mit, wobei wir den Text jedoch leicht an unsere Situation in diesem Sommer anpassten:
Every move you make
Every shit you take
The bunkers you create
Wally’s watching you.
Oh can’t you see,
He’s got the RPGs
And when you hear that sound
Here comes another round
Wally’s watching you …
(»Bei jedem Schritt, den du tust, bei jedem Scheißhausgang, den du
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