Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
machst, bei jedem Unterstand, den du baust, hat dich Wally immer im Auge. Siehst du nicht, er hat die RPGs, und wenn du deren Geräusch hörst, kommt schon die nächste geflogen. Wally hat dich immer im Auge …«)
Während wir dieses Lied sangen, sorgte die Artillerie im Schuf-Gebirge für die rhythmische Begleitung. Ich kaufte mir ein Briefmarkenheftchen und wollte anonyme Briefe an meinen Kongressabgeordneten schreiben, verzichtete dann jedoch aus unerfindlichen Gründen darauf. Es wurde überhaupt immer schwieriger, jemandem zu schreiben. Meine Briefe aus Beirut waren eine Studie darin, wie ein waches Bewusstsein mehr und mehr in einem Sonnenstich versank. In diesem Sommer schrieb ich oft an Margot und weniger oft an meine Eltern. Ihnen allen berichtete ich nur über das Wetter, das schlechte Essen und ähnliche banale Dinge. Ich erwähnte jedoch nie die Artillerieangriffe, unsere Einsätze oder die immer schlimmer werdenden Verhältnisse in dieser Stadt.
Ich bin jedoch überzeugt, dass die Banalität meiner Briefe ein Hinweis war, dass es da noch etwas geben musste. Mein Dad sandte mir lange Ermahnungen, immer aufmerksam zu bleiben, auf meine Füße achtzugeben und mich entschlossen und beherzt gegen unsinnige Befehle zu wehren. Tatsächlich beherzigte ich diese klugen Ratschläge. Meine Mutter schickte mir Blechdosen voller dänischer Butterkekse und Geschenkpackungen des Spezialitätenherstellers Hickory Farms. Außerdem füllte sie ganze Styroporschachteln mit in Wachspapier eingewickeltem Cheddar-Käse, Salzgebäck und Schinkensülze-Dosen. Normalerweise war das die Sorte von Weihnachtsgeschenken, die man den Leuten schickte, die man nicht mochte. In Beirut waren sie Delikatessen, die wir sofort verschlangen. Margot schickte mir ein Bild von sich, auf dem sie in einem blauen String-Bikini auf einem Handtuch am Strand von Virginia Beach saß. »Komm schnell heim«, hatte sie auf die Rückseite gekritzelt. »Ich habe eine Überraschung für dich.«
Ich hatte auch eine Überraschung für sie.
Mitte August hatte die Zahal oder IDF (Israel Defense Forces) ihre Umgruppierung abgeschlossen. Sie zog ihre Truppen aus den Schuf-Bergen ab und verlegte sie in einen langen Gebietsstreifen südlich der Stadt Sidon, der als neue Pufferzone zu Israel den gesamten libanesischen Süden umfasste. Aus den Vorbergen oberhalb von Green Beach stiegen Rauchfahnen auf, als die Israelis ihre überschüssigen Vorräte verbrannten, während gleichzeitig die IDF-Konvois nach Süden rollten. In der Stadt selbst hatten sie inzwischen alle ihre Kasernen und Depots aufgegeben. Nur noch einige Panzer- und Infanterieeinheiten waren geblieben, um den Abzug zu decken und den Checkpoint auf der Küstenstraße vorerst weiter zu besetzen.
Der letzte IDF-Stützpunkt lag auf einer kleinen Anhöhe 200 Meter südlich der libanesischen Universität in Choueifat. Der Davidstern flatterte an einem zweistöckigen Gebäude, das von Bunkern, Unterständen, Kampf- und Transportpanzern umgeben war. Die Marines nannten den israelischen Stützpunkt »Fort Apache«. Tatsächlich sah er wie die Sandsack-Hauptstadt der Welt aus.
Während des langwierigen Rückzugs wurde diese IDF-Stellung immer exponierter, da sie jetzt vom Hauptkontingent der Zahal abgeschnitten war. Wie in einem Mikrokosmos spielte sich dort ab, was sich später in ganz Beirut ereignen würde: täglicher Scharfschützen-, Raketen- und Mörserbeschuss. Außerdem war ständig mit Autobomben zu rechnen. Die israelische Reaktion auf diese Angriffe unterschied sich jedoch grundsätzlich von der unseren: Die Israelis übten sofort Vergeltung. Wenn IDF-Stellungen unter Feuer gerieten, war ihre Antwort immer die gleiche. Sie schossen 25 Minuten lang aus allen Rohren auf das Viertel, aus dem die Schüsse gekommen waren. Im israelischen Militärwortschatz hieß das »Kollektivstrafe«. Dabei wurden die drei Straßenblocks, aus denen sie beschossen worden waren, in Trümmer gelegt. Das IDF-Feuer war so intensiv und präzise, dass man selbst jenseits der Schuf-Berge noch den Zorn der Israelis spüren konnte. Diese Taktik machte sie bei den Beirutern natürlich nicht gerade beliebt. Als die IDF aus Fort Apache abzog, erbte die Marine-Kompanie, die auf dem Gelände der libanesischen Universität stationiert war, die Abneigung, die die Bewohner gegenüber den früheren Mietern gehegt hatten.
Die Leute in den USA glaubten vermutlich, dass Amerika und Israel im Libanon enge, unverbrüchliche Verbündete
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