Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
die Vorberge hinweg. Sie flogen so schnell und tief, dass die Flugabwehrgeschütze sie nicht beschießen konnten.
Das Ganze war eine Show für uns einfache Landser. Die Regierungen Englands, Frankreichs und der Vereinigten Staaten drohten mit Luftangriffen, wenn das Granatfeuer nicht aufhören sollte. Die Flüge waren also eine Warnung für den Feind und ein verspätetes Zeichen der Entschlossenheit für die Männer in den Unterständen. Die Maschinen verbrachten wahrscheinlich ganze 35 Sekunden in derselben Luft, aus der täglich Granaten und Raketen auf unsere Köpfe herabregneten. Eindrehen, brüllende Turbinen und weg. Sie donnerten vorbei, um dann, so schnell sie gekommen waren, wieder über dem Meer in Richtung Flugzeugträger zu verschwinden.
Im Slang der Marines hießen sie »Weasel Dicks«, ein etwas rauerer Ausdruck für »Fluchtkünstler«. Am Ende dieses Sommers war das jedoch auch nicht mehr wichtig. Eigentlich war nichts mehr wirklich wichtig. Die Höhen, die uns früher an San Diego erinnerten, kannten wir jetzt viel zu genau. Sie waren bösartig und eindeutig libanesisch. In den Stützpunkten hatten die Marines einen sechsten Sinn für Artilleriebeschuss entwickelt. Ihr Gehör war inzwischen so geschärft, dass sie anfliegende Geschosse bereits beim Abschuss hörten. Beim Gehen hielt man ständig und automatisch nach dem nächsten Unterstand Ausschau. In die Wirbelsäule jedes Mannes war bereits der rettende Sprung in die Deckung einprogrammiert, ein Reflex, der durch das Geräusch einfallender Granaten ausgelöst wurde. Darüber dachte man überhaupt nicht mehr nach. Es war eine Reaktion, die in den tieferen Gehirnzentren reguliert wurde und insofern mit solchen unbewussten Prozessen wie dem Atmen oder Schwitzen verwandt war.
Wenn der Libanon in einem Magazin durch einen gedruckten, mit Fotos bebilderten Text erklärt wurde, war er ein fremdartiges, seltsames Land, das man weder hören, berühren noch riechen konnte. Worte konnten die Gewalt und den Tod nur benennen. In solchen Beschreibungen blieb das Ganze ein ferner, unverständlicher Konflikt, ein Krieg zwischen einem Dutzend unterschiedlicher Feinde. Es handelte sich sogar weniger um einen Bürgerkrieg als um eine Art Massenschlägerei ohne Regeln, aber mit schweren Waffen. Bevor ich hierherkam, hatte ich nur auf die schwarzen Druckbuchstaben auf den weißen Seiten und die Fotografien dieser schockierenden Zerstörung gestarrt, ohne mir auch nur einen Moment vorstellen zu können, wie dieser Ort wohl sein würde. In diesen Wörtern mit ihren weißen Zwischenräumen waren dieses Land, seine Menschen und die Tragödie dieses Krieges nicht zu finden.
Es war ja auch eigentlich nicht Aufgabe der Zeitungen, belangloses Zeug über die »Atmosphäre« eines solchen Landes zu drucken. Was man aus Beirut an Fakten berichten konnte, war für die Leute daheim schon sensationell genug. In den Schuf-Bergen wurde der Krieg jetzt in der Schwärze der libanesischen Nächte gedruckt. Wenn man in einer Stellung unten am Flughafen saß, waren die weißen, krachenden Blitze oben auf den Bergen beinahe so bedeutungslos wie die Bilder in den Zeitschriften. Aber für diese Marines hatte diese Bedeutungslosigkeit eine andere Qualität als die »Bedeutungslosigkeit« dieses Krieges daheim in den Staaten. Hier war die Gewalt die überwältigende Realität. Sie war das, was man hier lebte, atmete und aß. Hier fehlte eben die Abstraktion des nüchternen Kriegsberichts. Leuchtspurgeschosse waren Leuchtspurgeschosse, Raketenfeuer Raketenfeuer und die Landser hatten normalerweise keine Ahnung, wer den Flughafen beschoss und weshalb. Manchmal lasen sie es vielleicht Wochen später in einer Zeitschrift. Vielleicht wurde es ihnen auch in einem Brief von zu Hause erklärt. In Beirut gab es kein Programm und keine Ergebnisliste. In den langen Monaten ihres Einsatzes würden die Marines einige Mitspieler kennenlernen, und zwar hauptsächlich jene, die sie hassten. Das war alles. Die Wechselfälle der libanesischen Politik wirkten auf sie so weit entfernt und flüchtig wie die Sonnenflecken.
Der Kampf ergriff alle unsere Sinne, er zwang uns zu schwitzen, Unterstände zu graben und Sandsäcke zu füllen. Nichts und niemand machten uns den libanesischen Bürgerkrieg begreifbar. Er war etwas, das jeder Marine nur zur Hälfte verstand, und zwar die Hälfte, die ihn töten konnte. Für den Rest brauchte niemand eine Erklärung.
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