Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
beeinträchtigte unseren Willen und unsere Vernunft. In einer solchen Geistesverfassung war Granatfeuer sogar etwas, auf das wir uns freuten. Etwas, das wenigstens diese schreckliche Monotonie unterbrach. Wir hielten es für einen Segen, dass wir ziemlich oft Operationen, vor allem Aufklärungsmissionen, durchführen durften. In der Dunkelheit im Schuf-Gebirge auf Patrouille zu gehen – und dabei von sechs verschiedenen Gegnern umgeben zu sein – das war immer noch besser, als in unserem Stützpunkt vor sich hin zu schwitzen.
Das Granat- und Raketenfeuer führte jedoch auch zu einer anderen Empfindung, die zugleich sehr real und sehr gegensätzlich war. Es war das Gefühl, das in uns aufstieg, wenn wir in Deckung liefen. Wenn wir in diesem staubigen, viel zu gut bekannten und deshalb so langweiligen Ort um unser Leben rannten. Wenn wir durch das endlose Kreischen der herabstürzenden Raketen rannten. Langeweile und Angst vereinigten sich in dieser herbstlichen Hitze. Am Ende war die Langeweile sogar noch gefährlicher. Eine unendliche Eintönigkeit, die jeden anderen Gefühlszustand, jede andere mögliche Emotion erstickte. Diese Langeweile ließ uns vergessen, unsere Schutzweste zu schließen. Diese Langeweile führte dazu, dass wir auf der Flughafenrundstraße fahren wollten . Im Moment war nichts mehr wichtig, außer genug Insektenspray zu haben. Die unerträgliche Hitze wollte einfach kein Ende nehmen. An den Sommer erinnere ich mich nur noch als eine ununterbrochene Reihe von VIP-Besuchen, sich widersprechenden Gerüchten und Beschuss mit Mörsergranaten.
An jedem Nachmittag wurden die libanesischen Mannschaftstransportpanzer, die nach Süden die Küstenstraße hinunterfuhren, von Khalda her unter Feuer genommen. Diese Angriffe wurden zu einer solchen Routineangelegenheit, dass die LAF-Panzer einfach auf dem Mittelstreifen anhielten, um den Zivilverkehr vorbeizulassen, und dann mit ihren MGs, Kaliber .50 BMG, zurückschossen. Ketten roter Leuchtspurgeschosse stiegen von der Küstenstraße auf und schlugen in den Betonseitenwänden der Stadt auf der Höhe ein. Die weißen Einschlagblitze dienten den MG-Schützen als Zielhilfe für ihre 100-Schuss-Salven, mit denen sie jedoch lediglich Gebäude trafen, die zuvor schon millionenfach getroffen worden waren. So wurden Woche für Woche richtiggehende Schießduelle ausgefochten.
Das Feuer der Milizen schwenkte oft plötzlich auf den Green Beach hinüber. Manchmal war die Entfernung so groß, dass wir eine Vorwarnzeit von ein paar Sekunden hatten. Von dem Unterstand auf unserer linken Flanke aus konnte ich mit dem Feldstecher die Schäden in den Wohnvierteln der Umgebung betrachten. Die niedrigen Häuser trugen jetzt regelrechte Pockennarben und die schwarzen Streifen, die sich ihre Seitenwände hinaufzogen, zeugten von den immer noch schwelenden Bränden. Die Feuergefechte hatten den ganzen Nachmittag angedauert. Um genau 17.00 Uhr zogen die libanesischen Schützenpanzer jedoch ab. Sie machten immer pünktlich Feierabend. Auch die andere Seite stellte das Feuer allmählich ein. Nur wenn der Wind aus dieser Richtung wehte, drangen aus Hooterville im Nordosten noch die Geräusche weiter entfernter Feuergefechte zu uns herüber. Die Vorstellung war wohl wieder einmal vorbei.
Wir wussten, dass man uns kein warmes Essen liefern würde, weil bis 19.00 Uhr im ganzen Stützpunkt am Flughafen Alarmstufe eins herrschte. In unserem Green Beach brachte diese Stille die Jungs dazu, ihre Deckung zu verlassen. Die Tische im Windschatten der Unterstände waren bald voller Männer, die ihre MREs aufrissen, um ihr karges Abendessen wenigstens an der frischen Luft einnehmen zu können. Dieses Abendessen nahm jedoch ein abruptes Ende. In Khomeiniville feuerte jemand nördlich unserer linken Flanke mit einem 7,62-mm-MG in unsere Richtung. Die Geschosse flogen den ganzen Strand entlang und schlugen in einen Tisch voller SeaBees ein, die am nördlichen Ende von Green Beach gerade zu Abend aßen. Holz splitterte, Querschläger sausten durch die Luft und einzelnen Leuten wurden sogar ihre MREs aus der Hand geschossen. Kaum zu glauben, dass keiner getroffen wurde. In Sekundenbruchteilen verdoppelte sich dann das Gewehrfeuer. Man hörte die schnellen Feuerstöße der M-16 und der FN sowie das meckernde Stakkato der Kalaschnikows.
Ich suchte in den Schützengräben Deckung, die sich an das Rancho Deluxe anschlossen. Am Boden des Grabens saß Doc und schüttete bedächtig Tabasco auf eine
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