Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
um ein Vieraugengespräch und erklärte ihm den Vorfall. Unverzüglich stärkte er mir den Rücken, ja, er stellte sich nicht nur hinter mich, sondern wurde jetzt auch von sich aus tätig. Nach unserer Unterredung beobachtete ich, wie Frank zum Uferkai hinunterstürmte, an Bord der Sea Fox ging und eine ganze Weile Jefferson in voller Lautstärke rundmachte. Ich konnte nicht viel verstehen. Nur gelegentlich drangen Wörter wie »Pflicht«, »Strafversetzung« und »Kriegsgericht« an mein Ohr. Dies war das einzige Mal, dass ich Frank die Stimme heben hörte.
Der Vorfall wurde dann unter den Teppich gekehrt. Die Sea-Fox-Besatzung würde uns nie mehr enttäuschen, und Jefferson sollte sogar später eine Medaille für eine Operation erhalten, die wir in den letzten Wochen unseres Beirut-Einsatzes durchführten.
Die Sonne versank im Meer, und wir saßen auf unserem Unterstand, tranken warmes Heineken-Dosenbier und beobachteten aus der Ferne die Schlacht um Khalda. Die libanesische Armee operierte vom Südende des Flughafens aus, beschoss die auf der Höhe liegende Stadt mit allem, was sie hatte, griff sie jedoch nicht mit Infanterieeinheiten an. Es war eine Demonstration der klassischen libanesischen Militärtaktik, wenig zu riskieren und nichts zu gewinnen. Wieder einmal fragte ich mich, warum zum Teufel wir eigentlich hier waren.
»Hey Mr Pfarrer, möchten Sie etwas essen?« Es war Doug, der einen Papierteller in der Hand hielt.
»Ich nehme lieber noch ein Bier«, sagte ich.
Doug warf mir eine warme grüne Dose herüber, ich öffnete sie und nahm einen tiefen Schluck.
Die Ereignisse dieses Nachmittags schwirrten mir immer noch im Kopf herum. Zum ersten Mal hatte ich unter schwerem Feuer gestanden. Ich hätte eigentlich erwartet, eine gewisse Euphorie zu empfinden, aber das war nicht der Fall. Ich wusste nicht, was ich empfand. Seltsamerweise, vielleicht sogar fatalerweise, fühlte ich, nun – gar nichts.
Jeder in meinem Soldatenberuf fragt sich, wie er unter Feuer reagieren wird. Ich hatte es geschafft, meine Truppe von einem überlegenen und gut positionierten Feind zurückzuziehen. Ich hatte dabei keinen einzigen Mann verloren. Andererseits hätte ich um ein Haar alle verloren. Hätte Dave die Sea Fox nicht mit Waffengewalt gekapert, hätte das auch ganz anders ausgehen können.
Ich würde mich nie mehr nur auf einen einzigen Rückzugsweg verlassen. Meine Gefühle begannen, sich in schneller Folge abzuwechseln. Schuldgefühle, dann wieder nichts und danach war ich erneut wütend auf mich. Die Hektik war jetzt abgeklungen. Ich erinnere mich nur noch an die Angst, den Einsatz zu vergeigen. Während des Kampfes hatte ich noch ein Gefühl der Unbesiegbarkeit und eine seltsame Euphorie verspürt. Diese überdrehte, euphorische Stimmung, verursacht durch zu viel Adrenalin, hielt fast bis zum Ende meines Beirut-Einsatzes an. Später sollte sie jedoch von einem tödlichen, selbstzerstörerischen Zynismus abgelöst werden. Aber bis dahin waren es noch ein paar Monate.
Jetzt war ich nur müde. Hundemüde, todmüde.
Ich ging durch das SeaBee-Zeltlager zurück zum Rancho Deluxe. Es war Sonntagabend und wir hatten Hamburger und Hotdogs auf den 200-Liter-Ölfässern gebraten, die wir in der Mitte durchgeschnitten und zu Grills umfunktioniert hatten. Als sich die Tische gerade zu leeren begannen, schlug nördlich unserer Stellung die erste Granate ein. Einzelne Explosionen waren so alltäglich, dass zuerst niemand weiter darauf achtete. Fünf Minuten später fiel das nächste Geschoss vom Himmel, und dann noch eins. Im Süden flackerte plötzlich wieder Gewehr- und RPG-Feuer auf. Die Vorstellung hatte begonnen.
Zwei Granaten schlugen in das Wasser vor dem Ufer ein, die eine ziemlich weit entfernt, die andere nur 50 Meter vor dem Zentrum des Strands. Es war klar, dass diese Geschosse uns galten. Wir gingen deshalb in unsere Unterstände zurück und zogen über unsere nackten Oberkörper Schutzwesten an.
Allerdings traf uns dann bis 20.00 Uhr keine weitere Granate oder Rakete, obwohl immer noch Gewehrfeuer von Khalda zu uns herunterdrang. Über Funk hörten wir, dass direkt vor dem Flughafenzaun in Hooterville heftig gekämpft wurde. Um Mitternacht begannen die MEA-Verkehrsflugzeuge von den Startbahnen abzuheben. Die Evakuierung der Maschinen der Middle East Airlines war immer das Zeichen, dass der Flughafen in Kürze beschossen und geschlossen werden würde.
Ich genehmigte mir noch ein Bier. Plötzlich merkte ich, dass
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