Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
höchstpersönlich hergestellt hatte. Alles war grau, ein einheitliches Grau, mit Ausnahme der schmalen, schwarzen Rinnsale, die sich zu meinem Entsetzen als Blut herausstellten. Direkt unter mir war schräg zu dem Ort, an dem ich gerade grub, eine Öffnung in den Trümmern, durch die ich mich nun hindurchzwängte. Im Dämmerlicht konnte ich jetzt die Umrisse eines Torsos ausmachen, der jedoch vollständig mit Staub bedeckt war und die gleiche Farbe wie der Beton hatte. Zuerst hielt ich ihn sogar für einen Teil der Betonplatte, da ich weder Kopf noch Arme sehen konnte.
Ganz langsam erkannte ich jedoch, dass es sich um einen Menschen handeln musste. Die Tarnjacke war ihm abgerissen worden, sodass jetzt die Umrisslinien einer nackten Brust freigelegt worden waren.
Ich presste meine Hand auf die Brust des Marines. Er war tot.
Wir arbeiteten den ganzen Tag in den Trümmern, während ständig Scharfschützenkugeln in den Beton um uns herum einschlugen. Schließlich wurden Frank und ich zum Green Beach zurückgerufen und wir gingen zur Landezone Braun hinüber, um einen Hubschrauber zu erwischen. An diesem Landeplatz bot sich uns ein düsteres Bild. Wir trafen Doc im Hangar an. Er stand neben einer Trage. Er war von Kopf bis Fuß mit Zementstaub und Blut bedeckt. Um seinen Hals baumelte ein Stethoskop. Der Doc würde die nächsten 48 Stunden ohne Schlaf oder Ruhepause an diesem Ort arbeiten. Als die Stunden verrannen, wurden immer weniger Körper aus den Trümmern gezogen. Was jetzt auf den Bahren lag, hatte kaum noch etwas Menschliches an sich. Schließlich waren es nur noch unförmige Klumpen in grünen Säcken, verbrannte, aufgeblähte, unkenntliche Gestalten, die man jetzt klassifizieren, identifizieren, konservieren und nach Hause transportieren musste.
Auf der Startbahn wurden die Toten in sauberen Reihen abgelegt. Sie waren in die Nylon-Steppdecken und in zerfetzte, blutgetränkte Schlafsäcke gewickelt, in denen sie gestorben waren. Die Leichen wurden in Hubschrauber geladen und in einer endlosen Reihe von Transporten auf die Schiffe geflogen.
Den verschmutzten Gesichtern der Männer, die die Helikopter beluden, war anzusehen, dass sie immer noch unter Schock standen. Zwischen den Transporten saßen sie nur mit weit geöffneten Augen da und starrten ins Leere. In diesem endlosen Dröhnen der Hubschrauber gab es keinen Trost und in der entsetzlichen Hitze und dem Heulen der Turbinen keine Ruhe. Unter den heißen Abwinden der Rotorblätter arbeiteten sie immer weiter, ohne ein einziges Wort zu sagen.
Ich hätte mir nie vorstellen können, Doc einmal in Tränen zu sehen. Nicht Doc den Eisernen, Doc den Furchtlosen, Doc den erbarmungslosen Killer der »Scheißkerle« vom Vietcong. Als er jedoch am nächsten Abend in unseren Unterstand zurückstolperte, brach er auf seinem Feldbett zusammen und schluchzte wie ein Kind.
Ich schloss die Augen in dem dunklen Unterstand und versuchte, mich selbst zum Schlafen zu zwingen. Ich dachte an ein Band-Konzert, dass ich drei Wochen zuvor im BLT miterlebt hatte. Ich saß damals mit dem Rücken zur Wand im dritten Stock und schaute in den Hof und auf die Gesichter der Männer hinunter, die vier Stockwerke hoch auf den umlaufenden Balkonen hockten. Es war eine Navy-Band, die sonst nur vor den höheren Chargen wie unseren Admirälen auftrat. Man hatte uns zuvor auch klargemacht, welches verdammte Glück wir hatten, dass sie diesmal bereit waren, für uns zu spielen.
Das Ganze war dann auch nicht so besonders. Sie spielten 20 Minuten lang einen ziemlich halbgaren Rock and Roll, packten zusammen und wurden mit dem Hubschrauber zum Flaggschiff zurückgebracht. Damals hätte ich mir jedoch nicht vorstellen können, dass dieses Gebäude ein paar Tage später dem Erdboden gleichgemacht werden würde und viele der Marines, deren Gesichter ich damals betrachtete, ihr Leben verlieren würden. Aber sie würden ja nicht einfach sterben, sondern zerstückelt, mit aufgerissenem Körper in den Bäumen hängen oder gar wie menschlicher Abfall auf den Feldern der Umgebung liegen.
Jetzt waren sie tot. Einfach so. Was von ihnen übrig war, wurde in Metallkisten versiegelt. Manchmal war es nur noch die Soße, die jemand aus dem Innern eines Stiefels herausgekratzt hatte. Bei einer solchen Katastrophe waren die Männer nur noch ein weiterer Eintrag auf der Liste der Getöteten, Verwundeten oder Vermissten. Man könnte es auch anders und realistischer ausdrücken: Sie waren entweder zerschmettert,
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