Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
Ungewöhnliches, aber ich hatte noch nie von jemandem gehört, der alle Tassen im Schrank hatte und um zwei Kampfeinsätze hintereinander gebeten hätte.
Der Operations Officer war ein Lieutenant Commander, ein wirklich netter Bursche. Er wirkte richtig verlegen, als er uns das fragen musste. Er entschuldigte sich gerade, als ich mich sagen hörte: »Ich bleibe.«
Frank stimmte im selben Atemzug ebenfalls zu.
Ich erinnere mich noch lebhaft an den Schock auf dem Gesicht des Mannes. Wir waren beide nicht recht bei Sinnen. Ich konnte von Glück sagen, dass ich eine Tour überlebt hatte, und jetzt erklärte ich mich einfach so bereit, weitere sechs Monate im Libanon zu bleiben. Und das tat ich auch noch vor Zeugen und stand danach ganz ruhig da und kratzte mich am Kopf, während der Commander unsere Namen auf seinem Klemmbrett buchstabierte. P wie in Peter, F wie in Fuchs, Doppel-R, E, R. Charles, zweiter Vorname Patrick, LTJG, USN. Blutgruppe 0 positiv. Katholisch – Selbstmörder.
Ich hatte das Unvorstellbare getan, Doc hatte es herausgefunden, und jetzt las er mir die Leviten.
»Was ist mit dir los?«, herrschte er mich an. »Hast du sie noch alle?«
»Wie viele Einsatzzeiten hattest du in Vietnam, Doc?«
»Ich sehe nicht ein, was das …«
Ich schnitt ihm das Wort ab. »Wie viele, Doc?«
»Viel zu viele.«
»Hast du das freiwillig gemacht oder haben sie dich mehrfach dorthin abkommandiert?«, fragte ich. Ich wusste sehr wohl, dass er wie fast alle Vietnamveteranen der SEALs, die ich kannte, um eine weitere Einsatzzeit gebeten hatte.
»Eines muss ich dir sagen«, erwiderte er. »Vietnam war nicht eine solche Scheiße, wie wir sie gerade durchgemacht haben. Du musst dumm sein wie Bohnenstroh, wenn du freiwillig länger in der Wallywelt bleiben willst.«
Er hatte recht. Ich war verrückt. So wie Frank.
»Warum gehst du nicht an Deck zurück?«, fragte Doc mit ruhiger Stimme. »Du siehst aus, als ob du frische Luft vertragen könntest.«
So spät in der Nacht hatten die Marines an der Reling keine Gesichter. In der klaren, mondlosen Nacht war die Dunkelheit fast ein undurchsichtiges Pigment, das ihre Gesichtszüge auf einheitliche Weise dunkel und formlos werden ließ. Es war eine Nacht, in der man nicht einmal seinen eigenen Bruder erkannt hätte. In ihren Tarnanzügen wurden ihre schemenhaften Gestalten durch die Fleckfarben des Stoffes und den Wind noch weiter aufgelöst, der an den Uniformen zog und sie aufblähte, sodass sich ihre Umrisse ständig veränderten und sie kaum noch als menschliche Wesen erkennbar waren.
In der Dunkelheit stiegen die Gluten der Zigaretten nach oben, flogen über die Reling und verglühten. Die Nacht war für die Jahreszeit ungewöhnlich mild und auf unheimliche Weise still und ruhig. Nur der Fahrtwind wehte über das Deck. Um die Portland herum war das Meer fast spiegelglatt. Das Wasser war schwarz. Nur das Kielwasser leuchtete in der unirdischen Farbe der Biolumineszenz.
Als ich so im Wind stand, dachte ich an die langen Leichenreihen, die wir auf das Flughafenvorfeld gelegt hatten. Die Briefe und Umschläge, die es nach dem Bombenanschlag die Straße hinuntergeweht hatte, verfolgten mich noch immer, diese Fotos von 11 000 Kilometer entfernten Familien, Kindern und Ehefrauen, die zu Witwen und Waisen geworden waren.
Die nackte Angst packte mich. Als ich dort allein in der Dunkelheit stand, verfluchte ich mich, weil ich mich bereit erklärt hatte, im Libanon zu bleiben. Ich erinnerte mich jedoch auch, warum ich mich freiwillig gemeldet hatte. Das hier war noch nicht vorbei, sagte ich mir. Es war noch nicht vorbei, und ich wollte bleiben, bis es vorbei war.
Um der unheimlichen Stille der leeren Truppenunterkünfte zu entgehen, blieb ich an Deck und starrte auf das Glühen der Heckwelle, bis die Sonne aufging. Der Wind trieb mir die Röte ins Gesicht. Ich erlebte den Moment der Morgendämmerung, als ob die Sonne hinter dem Horizont auf mich gelauert hätte.
Am folgenden Abend kam Frank mit einem Hubschrauber von der Iwo Jima herüber. Man hatte beschlossen, dass die frisch eingetroffenen Truppen unsere Unterstützung doch nicht benötigten. Deshalb blieb uns eine zweite Einsatzzeit im Libanon erspart. Irgendwo weiter oben in der Befehlskette hatte ein gesichtsloser Stabsoffizier eine kleine Entscheidung getroffen, die mir vermutlich das Leben rettete.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich erleichtert war. Ich erinnere mich nur noch daran, dass mein Angebot zu
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