Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
essen oder ein 20-minütiges Nickerchen auf ihrem Schlauchboot machen. Die Crew, die als letzte ankommt, muss die Evolution wiederholen. Genau wie die Mitglieder der Goon Squad werden auch die Verlierer der Evolutions von den Ausbildern, die jeden Wettkampf mit Argusaugen überwachen, besonders hart rangenommen.
Die Boote müssen permanent »seefertig«, also in absolut einsatzfähigem Zustand sein. Dasselbe gilt für die Anwärter. Dies ist fast unmöglich; die Ausbilder können immer einen verdrehten Riemen an der Schwimmweste oder eine Tasche, die nicht zugeknöpft ist, finden. Auch dann setzt es Extraübungen.
Das permanente Laufen und Paddeln und Eintauchen in kaltes Wasser führt zu einem riesigen Energieverbrauch. Die Anwärter verbrennen mindestens 5000 Kalorien pro Tag und bekommen vier Mahlzeiten: Frühstück, Mittagessen, Abendessen und eine Mitternachtsmahlzeit, die als »Mid-rats« (Mitternachtsration) bezeichnet wird. Sie dürfen bei den Mahlzeiten nicht sprechen oder einschlafen. Es kommt nicht selten vor, dass ein Anwärter ohnmächtig wird und mit dem Gesicht im Haferbrei landet. Anwärter, denen das passiert, müssen die Kantine verlassen und hinaus in die Brandung.
Der Schlafmangel löst Halluzinationen aus, macht reizbar und beeinträchtigt das Urteilsvermögen. Auch dies gehört zum Lernprozess. Die Ausbilder beobachten das Verhalten genau, sie ermahnen die Offiziere zu führen und die Boat-Crews zur Zusammenarbeit. Schlechte Organisation wird nicht geduldet.
Wenn ein Mitglied einer Boat-Crew aufgibt, müssen seine Kameraden seine Last übernehmen und das 135 Kilogramm schwere Boot mit einem Mann weniger durch die Evolutions schleppen. Alle arbeiten härter, um den verlorenen Mann zu ersetzen. Trotzdem ist das Boot langsamer.
Und das macht die Ausbilder richtig wütend.
Es liegt auf der Hand, weshalb der Verlust eines einzigen Mannes dazu führen kann, dass eine ganze Crew aufgibt. Die Hell Week ist ein Schulbeispiel für die Notwendigkeit von Teamwork.
Es ist schon vorgekommen, dass ein Lehrgang in der Hell Week 60 Prozent seiner Teilnehmer verlor. Es gibt nur sehr, sehr wenige Lehrgänge, die bei Hell Week keinen einzigen Mann verlieren. Sie bekommen den »No Bell Prize«, und die Nummer ihres Lehrgangs wird in eine Gedenktafel in der Empfangshalle von BUD/S eingraviert. Während ich dies schreibe, sind auf der Tafel vielleicht vier Lehrgangsnummern eingraviert – vier von 280 Lehrgängen.
Von allen Erfahrungen, die ein Anwärter bei BUD/S macht, ist die Hell Week wahrscheinlich die wichtigste. Er erkennt, dass der Mensch in der Lage ist, etwa zehnmal mehr zu leisten, als er zuvor für möglich gehalten hätte. Es gibt nur wenige Grenzen – und dem, was ein entschlossener Mensch zu leisten vermag, sind keine Grenzen gesetzt. Nach der Hell Week darf der Lehrgang ein T-Shirt in Auftrag geben, das mit dem Logo des Naval Special Warfare Training Command und der Nummer des Lehrgangs geschmückt ist. Wer die Hell Week heil übersteht, schafft wahrscheinlich auch den Rest der Ausbildung.
Noch gefürchteter als die Ausbilder sind Verletzungen. Für Verletzte sind wenige Vorkehrungen getroffen und es gibt keinen Genesungsurlaub. Auch ist die medizinische Betreuung nicht gerade fürsorglich. »Nimm ein Aspirin und lauf damit weiter«, ist im Lazarett der übliche Rat der Sanitäter. Mehr als einmal wurde dieser Rat einem Anwärter mit gebrochenem Bein erteilt.
Wer die Hell Week überlebt hat, beginnt mit der zweiten Phase der Ausbildung: der Landkriegsführung. Stoppuhren ticken, während die Anwärter mit verbundenen Augen ein Dutzend verschiedene Pistolen, Sturmgewehre und Maschinengewehre auseinandernehmen und wieder zusammensetzen. Die Schießausbildung ist sehr intensiv und die Anwärter werden sowohl im Schießen auf große Distanzen als auch im Combat-Schießen, im Schießen aus der Bewegung und im taktischen Verhalten in einem Hinterhalt ausgebildet. Die Ausbildung im Nahkampf, im Gebrauch des Messers und der Garrotte und im Beschleichen von Wachtposten wird von Männern gelehrt, die all das bei Kriegseinsätzen praktiziert haben. Die Anwärter lernen Navigation zu Lande, taktisches Verhalten kleiner Einheiten, Instruktionstechniken, Aufklärung zu Wasser und zu Lande.
Die Phase endet mit einem vierwöchigen Aufenthalt auf San Clemente Island, wo die Anwärter grundlegende und fortgeschrittene Zerstörungstechniken lernen und einen einwöchigen »Krieg« führen, in dessen Verlauf
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