Zum Krieger geboren: Mein Leben als Navy Seal (German Edition)
vor demselben Podium, auf dem Dick Roy sechs Monate zuvor zu uns gesprochen hatte. Freunde oder Verwandte waren nicht anwesend. Wir wurden einer nach dem anderen ausgerufen und bekamen eine Urkunde der Naval Amphibious School ausgehändigt. Die Urkunde ist eindeutig nicht zum Rahmen geeignet. Auf ihr steht nur, dass folgende Person (Name in Maschinenschrift) folgenden Lehrgang (BUD/S) bestanden hat. Mein Diplom sah aus, als hätte es 1,25 Dollar gekostet, aber für mich war es das kostbarste Stück Papier der Welt.
Wir waren nun offizielle Absolventen von BUD/S, aber wir waren noch nicht SEALs. Noch nicht. Vor uns lag noch die Army Airborne School in Fort Benning und ein mehrmonatiges Advanced-Operator-Training bei unserem jeweilige SEAL-Team. Wir mussten also noch mehrere Hundert weitere Ausbildungsstunden und eine einjährige Probezeit absolvieren, bevor wir uns den goldenen Dreizack der Navy SEALs verdient hatten.
Bis dahin waren wir F. N.Gs., Fucking New Guys: wert- und nutzlos, die Bananas aus Lehrgang 114. Doch das machte mir nichts aus. An diesem Nachmittag bekam ich den Befehl, mich beim Commanding Officer SEAL-Team Four an Bord der Naval Amphibious Base in Little Creek, Virginia, zu melden.
Ich war in den Teams und ich liebte das Leben.
Operator 156
Die Nacht war absolut schwarz: weder Mond noch Sterne und ein dünner, kalter Regen – Wassertropfen aus der Dunkelheit. Ich lag am Straßenrand, die Waffe gesichert, hörte auf jedes Geräusch, starrte mit weit offenen Pupillen ins Schwarze und wartete. Im Blätterdach der Bäume über mir rauschte der Wind. Hin und wieder, wenn eine Bö kam, fielen Blätter auf uns und die Straße herab. Wir lagen vielleicht 20 Meter von der Stelle entfernt, an der sich die zweispurige Straße verengte und scharf nach Osten abbog. Meine Gruppe, acht Shooters, waren neben mir in Stellung gegangen. Alle lagen mit gespreizten Beinen auf dem Bauch, wobei sie mit den Stiefelkappen jeweils eine Stiefelkappe des rechts und links von ihnen liegenden Mannes berührten – als Rückhalt und als Kommunikationsmöglichkeit in der undurchdringlichen Dunkelheit. Ein leises Donnergrollen im Westen kündigte ein Gewitter an. Wir lagen seit fast drei Stunden in Position. Niemand bewegte sich, niemand sprach, tödliche, sprungbereite Federn.
Unser Hinterhalt war wie ein Spielzug im Football als Schaubild auf eine Tafel gezeichnet worden. Kreise und Pfeile markierten Schussfelder, Vorstöße, geplante Rückzugswege, die Bewegungsordnung, die Vorgehensweise beim Feuern und bei der Bewegung der Einheit und zuletzt die Männer, die Leichen zählen, durchsuchen und mit Sprengstofffallen versehen sollten. An der 90-Grad-Kurve der Straße lagen zwei weitere Gruppen SEALs auf der Lauer. Sie bildeten die zwei Schenkel eines Ls. Die eine Gruppe lag an dem Stück Straße vor der Kurve und die andere an der Kurve selbst und ihrem Ausgang. Zwei Paar Schützen zielten auf den Scheitelpunkt der Kurve, bereit, den Feind ins Kreuzfeuer zu nehmen, wenn er die sogenannte Box, die Tötungszone, erreichte. Einzelne Männer waren zwischen den Bäumen hinter den liegenden Männern aufgestellt und gaben ihnen Rückendeckung. Zwei weitere Männer waren als »Stolperdrähte« je 10 Meter vor und hinter der Kurve platziert. Sie sollten melden, wenn sich die Beute näherte, und später die Falle vollends schließen, indem sie jeden niedermähten, der versuchte, aus der Tötungszone zu entkommen.
Jeder Hinterhalt ist maßgeschneidert, und dieser war für einen Jeep und einen Lastwagen und die in ihnen fahrenden Männer gelegt. Unsere Falle befand sich mehrere Kilometer innerhalb der vom Feind kontrollierten Zone, und das Gebiet, in dem wir lagen, gehörte ihm: ein Heimspiel für den Feind, ein Auswärtsspiel für uns. Wir sollten einen direkten militärischen Angriff auf den Feind durchführen, und das in einem Gebiet, das von den Scherzkeksen im Stab verharmlosend als »Non-permissive Environment (unerlaubtes Gebiet)« bezeichnet wurde. Nichts war dem Zufall überlassen, alle unsere Aktionen waren drehbuchmäßig geplant und die Bewegungen des Feindes waren vorausberechnet. Außen an der Kurve verlief ein flacher Graben, in dem die Angegriffenen vermutlich zuerst Deckung suchen würden, wenn die Falle zuschnappte. Wir hatten vier Claymore-Minen in dem Graben gelegt. Ihre Zündkabel liefen von der Straße weg und waren mit sogenannten Clackers verbunden, elektronischen Fernzündern, die neben meinem rechten
Weitere Kostenlose Bücher