Zum Lieben verfuehrt
bestimmt war, emotionale Bande zu knüpfen, selbst wenn sie sich noch so sehr das Gegenteil wünschte?
Die Erde hatte sich wieder beruhigt, und Lizzies Herzschlag versuchte, sich dem gleichmäßigen Tempo von Ilios’ Herzschlag anzupassen. In einer Situation, in der sie normalerweise Todesängste ausgestanden hätte, hatte sie sich vollkommen sicher gefühlt, beschützt – von ihm. Und doch gab es keine Sicherheit für sie in Ilios’ Armen, sondern größte Gefahr.
„Okay, das war’s dann wohl“, flüsterte Ilios ihr jetzt zu. „Aber zur Sicherheit sollten wir trotzdem noch ein paar Minuten so liegen bleiben.“
Lizzie erschauerte, als sein warmer Atem ihr Ohr und ihren Hals streifte. Die verlockende Nähe erweckte in ihr den heftigen Wunsch, sich noch enger an ihn zu schmiegen.
„Meinst du, die Villa hat etwas abbekommen?“, fragte Lizzie, aufrichtig besorgt um das alte Bauwerk, aber auch, um sich von ihren selbstquälerischen Gedanken abzulenken.
„Nein. Die Landzunge liegt außerhalb der Erdbebenzone.“
Jetzt drangen vereinzelte Rufe an Lizzies Ohr. Menschen, die sich aus den Augen verloren hatten, suchten einander. Als Ilios sich über ihr aufrichtete, fühlte Lizzie sich regelrecht beraubt. Sie hätte noch stundenlang so in seiner Nähe bleiben können. Nachdem er sich vom Boden erhoben hatte, nahm er ihre Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein.
„Du hast Sand im Gesicht.“
Bevor sie es selbst tun konnte, hatte er sich schon vorgebeugt und fuhr ihr mit der Hand über die Wange.
Warum kann es bloß nicht immer so sein, dachte sie unglücklich. Ilios’ fürsorglicher Blick, sein stützender Arm – als ob sie ihm etwas bedeutete und er sie beschützen wollte. Weil er sie liebte. Sie machte unbewusst einen Schritt auf ihn zu, was ihn wiederum sofort veranlasste, einen Schritt zurückzuweichen.
Was passiert mit dir?, fragte Ilios sich grimmig. Sein eigenes Verhalten erschien ihm immer seltsamer und völlig untypisch für ihn. Es war fast, als ob ein Fremder in seine Haut geschlüpft wäre. Ein Fremder, der ihn provozieren wollte? Ein Fremder, der seine Existenz dem Auftauchen von Lizzie Wareham in seinem Leben verdankte? Ein Fremder, dessen erster Gedanke gewesen war, Lizzie zu beschützen? Aber warum?
Weil es in seinem eigenen Interesse lag, sie zu beschützen, darum. Weil er ein handfestes Eigeninteresse an ihrer Sicherheit hatte.
Die Bewohner des kleinen Fischerdorfes schienen schon wieder zur Tagesordnung übergegangen zu sein. So ein leichtes Erdbeben erschütterte hier offenbar niemanden. Als Lizzie wieder auf ihren eigenen Beinen stand, sah sie, dass am Berghang einige Männer bereits Schutt und Geröll beiseiteräumten.
„Bist du okay?“, erkundigte sich Ilios.
„Ja, und das habe ich dir zu verdanken.“
10. KAPITEL
Obwohl Lizzie tagsüber nur einen kleinen Stadtbummel gemacht und sich ansonsten auf dem Dachgarten von Ilios’ Apartment ausgeruht hatte, war sie erschöpft. Verstohlen ein Gähnen unterdrückend, versuchte sie, sich den Anschein zu geben, als genösse sie den Empfang, an dem sie und Ilios auf Einladung der griechischen Regierung teilnahmen.
Beim Blick in die Runde stellte sie fest, dass sie nicht die einzige Begleiterin war, die mit einem Champagnerglas in der Hand allein herumstand. Wenn auch ihr Glas nur Wasser enthielt, weil sie sich geschworen hatte, keinen Champagner mehr anzurühren, solange sie mit Ilios verheiratet war.
Von der anderen Seite des eleganten Empfangssaals kam lächelnd eine Frau auf sie zu, deren Bekanntschaft sie bei der letzten Vernissage gemacht hatte. Lizzie erwiderte das Lächeln und ging ihr, dankbar für die Abwechslung, entgegen. Heute hatte sie sich dem Anlass entsprechend gekleidet – mächtig gestylt, um genau zu sein, zumindest in ihren Augen. Sie trug sogar zu ihrem eleganten gelben Seidenkleid auch den wertvollen Schmuck, den Ilios ihr anvertraut hatte. Zu diesem Schritt hatte sie sich entschlossen, nachdem ihr klar geworden war, dass Ilios nicht zu seinem eigenen Vergnügen hier war, sondern als Chef eines großen Unternehmens, dessen Angestellte von seinem Erfolg lebten.
In ihre Gedanken versunken, durchquerte sie den überfüllten Saal, ohne zu bemerken, dass Ilios’ Cousin auf sie zukam, dessen Bekanntschaft sie bereits zu Beginn des Abends gemacht hatte. Sie wurde erst auf ihn aufmerksam, als er ihr den Weg verstellte.
Zu spät, um einen weiten Bogen um ihn zu machen.
Als Ilios ihr angekündigt hatte, dass
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