Zum Lieben verfuehrt
Ilios’ Arm genommen, beinahe so, als ob sie wirklich ein Paar wären.
„Dummerweise raten mir meine Anwälte aber dringend, die Ehe noch eine ganze Weile fortzuführen, weil eine Scheidung nach so kurzer Zeit verdächtig wirken könnte. Ich kann dir jedoch versichern, dass ich ein Ende genauso herbeisehne wie du“, erklärte Ilios kalt. Das war für ihn schon allein eine Frage des Stolzes. Außerdem hoffte er, auf diese Weise die ihn akut bedrohenden, ganz und gar ungewohnten Gefühle zum Verschwinden zu bringen.
Die harschen Worte bohrten sich wie eine Messerspitze in Lizzies Herz. Aber im Grunde genommen war es ihre eigene Schuld. Natürlich hätte sie es besser wissen müssen.
„Das wollte ich dir zeigen“, bemerkte Ilios eine halbe Stunde später, nachdem sie durch die weitläufige Parkanlage spaziert waren und an einem kleinen Teich herauskamen. Ilios deutete auf eine mit Skulpturen und Stuckornamenten geschmückte Grotte, mit einem Springbrunnen in der Mitte.
„Was ist das?“, fragte Lizzie.
„Ein Nymphäum“, erklärte Ilios. „Eine künstliche Grotte wie in der Villa Barbaro, deren Skulpturen wenigstens teilweise wahrscheinlich von Marcantonio Barbaro selbst stammen. Im Grunde diente es nur der eigenen Eitelkeit. Im einen Fall wollte der Villenbesitzer mit seinen Talenten als Bildhauer prahlen und im anderen mit seiner Großzügigkeit als Mäzen. Dieser Teich muss neu angelegt werden, und der kleine Tempel auf der Insel braucht eine Generalüberholung.“
„Der ganze Ort hier ist schlicht atemberaubend“, sagte Lizzie aufrichtig. „Kein Wunder, dass ihn deine Vorfahren unbedingt als Familiensitz bewahren wollten. Aber dein Plan, die alte Villa in eine pulsierende Werkstatt umzuwandeln, ist eine wundervolle und auch sehr zeitgemäße Idee. Und ungeheuer großzügig. Ein großartiges Geschenk an kommende Generationen von Restaurateuren, die hier eine tolle Möglichkeit haben, sich ganz spezielle Fertigkeiten anzueignen.“
„Mir geht es nicht um Großzügigkeit. Man hat mich mit den Restaurierungsarbeiten einfach zu oft hingehalten, weil die entsprechenden Restaurateure fehlten, das ist der ganze Grund.“ Es klang fast, als ob ihr Lob ihn ärgerte.
Weil er es nicht wollte? So wie er sie selbst auch nicht wollte? Lizzie ermahnte sich, endlich aufzuhören, sich etwas zu wünschen, das sie nicht bekommen konnte. Stattdessen sollte sie lieber das im Herzen bewahren, was sie und Ilios kürzlich miteinander geteilt hatten. Sie durfte sich die Erinnerung an das kurze Glück, das sie in seinen Armen gefunden hatte, nicht kaputt machen lassen, sondern musste sie hüten wie einen kostbaren Schatz.
Auf dem Heimweg machten sie bei derselben Taverne am Meer Rast, in der sie bereits zu Mittag gegessen hatten. Die Vorderseite des Hauses war windgeschützt, sodass man trotz der Kühle problemlos draußen sitzen konnte.
Sie hatten gegrillte Sardinen gegessen und waren gerade beim Kaffee angelangt, als es passierte. Ein dumpfes Grollen erhob sich, das sich anhörte wie ein Donnerhall, und der Boden unter ihren Füßen geriet in Bewegung.
Das kleine Tischchen machte so einen Satz, dass Lizzies Kaffee überschwappte. Ilios, der Lizzie gegenübersaß, sprang im selben Moment auf. Ohne ein Wort packte er Lizzie am Arm, riss sie von ihrem Stuhl hoch und warf sich mit ihr zu Boden. „Bleib liegen, das ist ein Erdbeben“, warnte er sie.
„Ein Erdbeben?“, wiederholte sie erschrocken.
„Das ist fast normal hier in der Gegend. Es ist gleich vorbei, bleib einfach ruhig liegen.“
Sie konnte ohnehin nichts anderes tun als das, was er ihr sagte, so auf dem Boden festgenagelt von Ilios’ schützendem Körper. Mit einer Hand umspannte er ihren Hinterkopf und drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter, sodass sie gezwungen war, seinen vertrauten Duft einzuatmen. Stand nur zu hoffen, dass er ihr heftiges Herzklopfen auf den Schreck schob und nicht auf seine Nähe.
„Was ist das?“, fragte sie besorgt, als das Grollen lauter wurde.
„Nur Geröll, das sich gelöst hat und jetzt den Abhang runterrollt.“
Lizzie holte erschrocken Luft, als der Boden unter ihr erneut heftig bebte. Was Ilios veranlasste, sie noch fester an sich zu pressen. Wenn er sie geliebt hätte, wäre das jetzt ein sehr emotionaler Moment gewesen.
Ilios. Warum bloß hatte sie sich in ihn verliebt? Warum konnte sie ihn nicht einfach nur körperlich begehren? Weil sie eine Frau war, und weil das weibliche Geschlecht von Natur aus dazu
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