Zum Nachtisch wilde Früchte
schwedischen Gäste lagen auf den Couches und wurden ruhiger. Der Alkohol lähmte sie, machte sie träge und schlaff. Sie hielten ihre Mädchen umfaßt, stierten vor sich hin und benahmen sich wie Verblödete. Die deutschen Gastgeber, geübt in solchen Spielen, bewiesen ihre Fantasie. Der Dicke lag auf dem Rücken, auf seinem riesigen Bauch balancierte er ein leeres Sektglas, und um ihn herum lagen die anderen, flach wie auf einem Schießstand, und versuchten, prustend, lachend und grölend das Glas von dem Bauch zu blasen.
Die rote Mary hatte einige freie Minuten. Sie kam von der Toilette und setzte sich neben Jutta an die Bar.
»Du bist ja eine ganz Brave«, sagte sie. Ihr rotes Haar war verschwitzt und zerwühlt. Auf ihrer Brust brannten einige gezackte rote Flecken. Statt aus dem Sektglas zu trinken, hatten einige Herren in das schwellende weiße Fleisch gebissen. Das gehörte zum Berufsrisiko, Mary sprach darüber gar nicht. Ein bißchen Fettcreme drüber, damit es keine Entzündungen gab … »Bisher haste nichts getan als gesoffen. Und angezogen bist auch noch! Sag mal, was willst du überhaupt hier? Die vornehme Tour? Tausend Emmchen fürs Ausziehen? Madame de Kö, was? Zieht hier nicht, Liebling! Die Kerle dort sind fürs Händchenvoll. Da kannste lange warten, bis einer zu dir kommt, sich verbeugt und sagt: ›Gnädigste, darf ich Sie zu einem Spaziergang in die hinteren Räume einladen?‹ – Pustekuchen! Das hier sind Platzspieler! Komm, Kleine, mach keinen fiesen Ärger … zieh dich aus und rein ins Schlachtgetümmel!«
Jutta lächelte schwach. Sie schob Mary ihr Glas Cocktail zu und bemühte sich, ihrer Stimme einen gleichgültigen und etwas ordinären Klang zu geben. Harry Muck hatte sich zu den blasenden Nackten begeben. Noch immer wackelte das Sektglas auf dem riesigen Bauch, bewegte sich auf und ab im gleichmäßigen Rhythmus. Der Dicke war eingeschlafen und lag auf dem Teppich wie zwei Zentner weggeworfenes, herausgetrenntes Rinderfett.
»Wie war das damals in Düsseldorf?« fragte sie unvermittelt. »Du hast mich verdammt neugierig gemacht. Wie wirkt das, dieses LSD?«
»Du bist 'n ganz anderer Mensch … oder ein Tier … oder, wie ich, eine Apfelsine. Mensch, das war 'n Ding! Und nach der Apfelsine lag ich plötzlich auf einer Wiese, war eine Maus, und da kommt doch eine Katze und leckt mich ab und hat lauter Schokolade auf der Zunge und leckt so lange, bis ich eine Schokoladenmaus bin! Blöd was? Aber so etwas erlebt man im LSD-Rausch. Ja, und hinterher war einer von den Jungs tot. Keiner weiß, wer's war, aber einer muß es ja getan haben! Und einer muß es wissen, denn er hat uns allen fünf Tage später durch Karin 500 Eier schicken lassen. Sag selbst, schickt jemand 500 Mark, wenn nicht etwas faul ist? Na, mir kann's recht sein, ich halt die Schnauze, ich hab' ja auch nichts gesehen … erst Apfelsine, dann Schokoladenmaus … nur hinterher ist mir ein Licht aufgegangen.«
»Sah … sah der Mann denn aus wie ein Verbrecher?«
»Verbrecher? O Kindchen!« Die rote Mary lachte schrill. Sie ergriff die Whiskyflasche und setzte sie an den Mund. Nach einem tiefen Schluck warf sie die Flasche einfach auf den Teppich. »Die sehen aus wie die Generaldirektoren, und das sind sie ja auch meistens. Das sind die ganz Vornehmen, die tagsüber zugeknöpft sind wie Schnallenschuhe. Nur wenn's dunkel wird, platzt denen die Haut!«
»Und … und wie sah der aus, der das LSD mitgebracht hat?« fragte Jutta heiser.
»Vornehm, Kleine. Ganz Gentleman! Graue Schläfen, Maßanzug, Typ abenteuerlicher Filmstar. Hatte so 'nen nordischen Namen, mit Stern am Ende …«
Vater!
Juttas Herz stand vor Schreck still. Sie riß den Mund auf, rang nach Atem, aber nur eine Sekunde lang, dann schlug es weiter, und es war, als jage es kochendes Blut durch alle Adern.
»Was haste denn?« fragte Mary. »Kennste den geilen Knaben?«
Jutta schüttelte den Kopf. »Mir ist schlecht«, sagte sie mühsam. »Furchtbar schlecht, schon den ganzen Abend. Ich geh nach Hause …«
»Ohne 'nen Blauen mitgenommen zu haben? Doof, meine Liebe. Leg dich wenigstens hin und tu so, als ob. Die Kerle sind sowieso so besoffen, die merken nicht, wennste markierst. Ist doch ein reelles Geschäft …«
Die rote Mary tippte an die Stirn, aber Jutta schüttelte wieder den Kopf. »Ich kann nicht«, sagte sie leise. Jedes Wort, jede Silbe brannten auf ihrer Zunge. Ihr Speichel schien aus Säure zu sein … er zerfraß ihr den Mund. »Ich gehe
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