Zum Nachtisch wilde Früchte
Rotkäppchen frißt den Wolf?«
»Frag nicht, Harry … kannst du Mary eine Zeitlang ausschalten?«
»Das muß ich mir überlegen.« Harry Muck beobachtete das fröhliche Treiben auf den Sesseln und Couchen. Die Schlipse hatte man schon abgebunden, und die Brillengläser beschlugen vor Begeisterung. »Wann?«
»Möglichst bald.«
»Vielleicht gelingt es mit einem frivolen Spielchen.« Harry Muck trank einen langen Schluck Whisky. »Versuchen wir es.«
»Danke. Du bist ein feiner Kerl, Harry.«
Jutta wandte sich ab und setzte sich so in einen Sessel neben der Bar, daß sie die rote Mary beobachten konnte.
Die Nacht der Wahrheit war für sie angebrochen. Die Wahrheit, hinter der Werner Ritter vergeblich nachjagte.
Eine Wahrheit, die auch in ihr Leben eingriff und sie mitriß, als sei sie in einen Strudel geraten.
Es wurde ein reizvolles, rosarotes Fest. Die Herren aus Schweden waren glücklich. Wie orientalische Fürsten lagen sie auf den Couches, und um sie herum rollte ein wohldurchdachtes und oft gespieltes Programm vom entfesselten Leben ab.
Eine Blondine, die sich Mimi nannte, bot einen Striptease besonderer Art … sie ließ sich entkleiden, aber jeder, der einen Teil ihrer Wäsche von ihrem sich drehenden und schlangenhaft beweglichen Leib löste, mußte gleichfalls ein Stück seiner Kleidung opfern. Dabei zeigte es sich, daß Mimi drei Büstenhalter und vier Höschen übereinander trug und noch verhüllt wie eine indische Bajadere tanzte, als ihr Partner schon bar aller Zivilisation auf der Couch hockte, in die Hände klatschte und Mimi dann durch das große Zimmer nachjagte, um auch die letzten Hüllen zu erobern.
Ein moderner Faun, der statt Farne und Büsche um Sessel, Sofas und Tische rannte, um seine Elfe einzufangen.
»Schiebung!« schrie einer der deutschen Direktoren und weigerte sich, seine kurze Unterhose auszuziehen, denn auch seine Partnerin, Lola nannte sie sich, ließ sich entblättern wie eine siebenschalige Zwiebel. »Das ist kein faires Spiel! Sie hat noch alles an, und ich stehe da im Hemd! Auge um Auge, Schlüpfer um Schlüpfer!«
Es war ein dicker Mann. Mit beiden Händen hielt er seine Unterhose fest, und sein Bauch wölbte sich wie ein blaßrosa Ballon über den Gummirand. Unter dem Bauch begannen dünne, etwas krumme Beine. An der linken Wade entlang zog sich ein blaues Netz von Krampfadern.
»Widerlich«, sagte Jutta leise zu Harry Muck, der immer neben ihr blieb, was verhinderte, daß die im besten Schritt und Tritt befindlichen Herren sich auch auf Jutta stürzten und ihr das Kleid vom Leib rissen. »Mir wird schlecht, Harry!« Sie lehnte den Kopf nach hinten an die Wand und sah voll Ekel auf einen dürren, langen Partygast, der wie ein mit gelblicher Haut überzogenes Skelett im Zimmer herumhüpfte und nach den Takten eines Foxtrotts die Beine hochwarf, als sei er ein Hiller-Girl. »Benehmen sie sich alle so?« fragte sie und hielt Mucks Hand fest, der ihr ein neues Glas White Lady reichte.
»Das ist noch harmlos, Schätzchen.« Harry Muck winkte der roten Mary zu. Sie hatte sich eine Attraktion besonderer Individualität ausgedacht … zwischen ihre vollen Brüste hatte sie ein Sektglas geklemmt, und nun ging sie von einem zum anderen und ließ jeden einen Schluck daraus trinken. Das erforderte eine besondere Kunstfertigkeit, fast wie das Trinken aus einem Stiefel … o selige Studentenzeit … und es wurden Wetten abgeschlossen, wer ohne Betropfen von Marys Busen einen tiefen Schluck aus dem eingeklemmten Glase trinken würde.
»Noch benehmen sie sich wie guterzogene Knaben«, sagte Harry Muck, als er Juttas entsetzten Blick sah. »Wir sind erst bei der Ouvertüre … oder, bleiben wir beim Stahlfach, beim Anheizen eines Hochofens. Wenn er erst glüht und brodelt … mein Mädchen, die letzten Reste einer moralischen Erziehung werden da weggeschmolzen!«
Ist Paps auch so wie diese Männer da, dachte sie, und wie ein Krampf war es in ihrer Kehle. Hat es so wie hier auch bei Toni Huilsmann ausgesehen, an diesem schrecklichen 21. Mai, an dem Richard Erlanger mit einem Schal erwürgt zwischen den umgeworfenen Tischen und Sesseln lag? Kann Paps so sein wie dieser Dicke, der sich jetzt französischen Kognak über den Leib schüttet und durch das Zimmer brüllt: »Hier ist eine Kognakbohne! Wer will sie knabbern?!« O Himmel, das darf nicht wahr sein, daß Paps auch solch ein Schwein ist … Wie könnte ich jemals auch nur noch einen Funken Achtung vor ihm haben?
Die
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