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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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zwei spitzen Ohren gewesen, ob ich mich vielleicht noch daran erinnern könne?

    Als ich von jenem Familienurlaub in Lahore, bei dem Tante Shaad ihren berühmten Fisch mit Grünkohl serviert hatte, zurückkam, war ich in zweierlei Hinsicht überglücklich. Zum einen war ich nicht ein einziges Mal für schlechte Tischmanieren getadelt worden, und zum andren war Tante Shaad im Grunde gar nicht in Lahore zurückgeblieben. Zu Hause wartete nämlich ein in braunes Packpapier eingewickeltes Päckchen, auf dem mit schwarzer Tinte mein Name stand. Selbst die Post schien sich Dil-Shads Willen zu beugen, hatte sie doch das Päckchen noch vor meiner Rückkehr gebracht. Es trug wunderschöne Briefmarken aus Lahore und war mit einer kräftigen Schnur zugebunden. Die Schnur war eigentlich völlig unnötig, da der selbst gemischte Kleister, mit dem das Packpapier zugeklebt war, sogar für meine scharfe Schere eine echte Herausforderung darstellte. Tatsächlich war das Päckchen darauf ausgelegt, sowohl einem Monsun als auch diebischen Fingern im Postamt zu widerstehen.
    Schließlich hielt ich eine quadratische Blechdose in den Händen, die mit Wachspapier ausgelegt war. Darin lagen, in sauberen Reihen angeordnet, die berühmten Walnuss-Toffees meiner Tante, die mit gurh , also mit einem reinen, unraffinierten Zucker hergestellt waren. Um Dil-Shads Toffees entbrannte unter uns Geschwistern jedes Mal ein regelrechter Kampf. Meine Schwester Mahjabin versteckte ihren Anteil einmal in einer Schublade ihrer Frisierkommode unter einem Stapel von Schals. Meinem Bruder Shahid und mir gelang es jedoch dank unserer Spürnasen, das Versteck zu entdecken, woraufhin wir alle ihre Toffees auf der Stelle verputzten. Zur Strafe mussten wir dreihundert Mal »Ich werde nie wieder die Süßigkeiten meiner Schwester ohne ihre Erlaubnis essen« schreiben, aber das war die Sache ohne jeden Zweifel wert gewesen. Jeder dieser karamellfarbenen viereckigen Brocken zerschmolz sofort auf der Zunge und gab so die feuchten, milchigen jungen Walnüsse in seinem Inneren frei.
    Mein letzter Besuch bei der einzigartigen Shaad fand 2003 in ihrem Haus in Lahore statt. Gesundheitlich schwer angeschlagen, hatte sie schon unzählige Pflegekräfte von ihrem Krankenbett aus aus dem Haus gejagt, weil diese ihren Ansprüchen nicht genügten. Ihre beiden Söhne sahen sich gezwungen, Einstellungsgespräche zu führen, die einem Verhör bei der Gestapo alle Ehre gemacht hätten, um die Krankenschwestern auf die überaus anspruchsvolle Pflege ihrer Mutter vorzubereiten.
    Trotz der schockierend kraftlosen Umarmung meiner inzwischen bettlägerigen Tante, versuchte ich meine Gefühle im Zaum zu halten, da ich wusste, dass sie keinerlei Mitleid dulden würde. Als der Tee serviert wurde, dazu ein Schokoladenkuchen aus einer Bäckerei in der Nähe, schnitt ich mir nur ein ganz schmales Stück ab. Da richtete sich die Löwin der Familie in ihren Kissen auf und tadelte mich heftig dafür, dass ich mir nur ein so kleines Stück genommen hatte. Sie fragte mich, ob ich gerade eine Diät machte, schließlich blieb mir nichts anders übrig, als ein Drittel des Kuchens zu vertilgen, nur um ihren Verdacht zu zerstreuen.
    Ihr ältester Sohn Tahir kümmerte sich während meines Besuchs um mich. Er bewirtete mich hervorragend, wohl, um mich auf diese Weise etwas aufzuheitern. Tahir war in unserer Familie dafür bekannt, den Spuren der letzten großen wazas von Kaschmir, der Küchenchefs, mit derselben Begeisterung zu folgen, wie er sie bei der Jagd auf den vom Aussterben bedrohten Steinbock zeigte. »Die großen Küchenchefs sterben aus, aber das scheint niemanden zu interessieren«, pflegte er sich immer wieder zu beklagen. Er nahm sein Abendessen oft in seinem Zimmer ein und setzte sich auch oft über die von seiner Mutter begründete Tradition hinweg, indem er Abendgesellschaften gab, bei denen wenigstens ein halbes Dutzend Hauptgerichte mit Fleisch serviert wurden. Es gelang ihm stets, seine Gäste mit seinem kaschmirischen Charme dazu zu bringen, viel mehr zu essen, als sie eigentlich wollten. Mit demselben Charme überredete er einen Freund, der mit einem kaschmirischen waza gut bekannt war, auf seinem Flug nach Lahore fertig zubereitete kaschmirische Speisen mitzubringen. Er bemühte sich intensiv um die Gunst von ghazal -Sängerinnen und gab verschwenderische

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