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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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Brühe mit Naan oder mit Reis isst, bekommt man unweigerlich das Gefühl, als würde in den Eingeweiden die tonnenschwere Elefantenkavallerie der Moguln gegen ihre Feinde anrennen. Es ist überliefert, dass, wenn die Elefanten vorrückten, die Erde bebte und die Feinde erzitterten. Die Herrscher, die in den howdahs saßen, waren dort oben so gut wie unbesiegbar. Bei den Normalsterblichen weitet sich jedoch nur der Magen, der Herzschlag verlangsamt sich und auf der Zunge liegt der warme Geschmack der Gewürze. Man vergisst alle Sorgen, und die Schritte werden schleppender - jetzt hilft nur noch ein Nickerchen. Da dieses Gericht möglicherweise das Ergebnis einer List der Kurtisanen ist - deren Lohn fiel nämlich um so höher aus, je länger sie durch den Genuss kulinarischer Freuden das sexuelle Verlangen hinauszögerten - ist dies ein weiterer Beweis dafür, welche Macht das Essen besitzt. In gewisser Weise schaffen Speisen oft einen unhörbaren Dialog, der wirkungsvoller sein kann als das gesprochene Wort.
    Drei Jahrzehnte nachdem ich zum ersten Mal Fisch mit Grünkohl gegessen hatte, erlebte ich auf sehr direkte Weise, welchen Einfluss das Essen auf das Denken eines Menschen haben kann. Dies geschah, als ich Tante Shaads berühmtestes Gericht anlässlich einer kaschmirischen Abendgesellschaft zubereitete. Ich war zu Besuch bei Freunden aus meiner Kindheit in Lahore. Mein Gastgeber war fest davon überzeugt, ein außergewöhnlich guter Koch zu sein. Er bezeichnete sich zwar selbst als einen assimilierten Mogul, mir jedoch war seine Abstammung stets suspekt geblieben, denn sie reichte weit über das Mogulreich hinaus und bis nach Europa hinein. Seine Mutter war Französin, und er selbst war in einem Haus aufgewachsen, in welchem französische und pakistanische Gerichte nebeneinander auf den Tisch kamen. Mein rein kaschmirisches Erbe war ständig das Thema eines freundschaftlichen Geplänkels zwischen uns. Dennoch musste Jeanot Jahangir Malik, der im Übrigen auch als französischer Honorarkonsul in Lahore war, irgendwann einmal zum Schweigen gebracht werden. Die Wahl der Waffen war dabei einfach: ein Menü.
    Ich bat also Lasoo, der zu dieser Zeit auch noch zu unserer Familie gehörte, mir bei meinen Vorbereitungen zur Seite zu stehen. Er verhielt sich daraufhin wie ein Hohepriester, der, wenn auch nur widerwillig, den Versuch eines jungen Novizen billigt, ein besonderes heiliges Ritual durchzuführen. Als mir versehentlich ein Filet zerfiel, schlug sich Lasoo voller Verzweiflung auf die Brust, so als hätte ich ihm einen Dolch direkt ins Herz gestoßen. Der mondgesichtige Jahangir vergaß später jedoch alle Regeln des Anstandes und schaufelte mindestens drei Portionen Fisch mit Grünkohl in sich hinein. Anschließend bot er mir Frieden an und gestand seine Niederlage in diesem Krieg der Kulturen ein.

    Tante Shaads Einzigartigkeit lag auch in ihrer Fähigkeit, wirklich herausragende Speisen ohne die Effekthascherei und emotionalen Exzesse ihrer Geschwister zuzubereiten. Die Gerichte auf ihrem Tisch ähnelten in gewisser Weise einem Mosaik, bei dem jeder Gang den vorherigen vervollständigt. Selbst die Wassergläser standen immer an exakt derselben Stelle neben den Tellern. Sie war jedoch im Ablauf ihrer kulinarischen Bemühungen überaus anpassungsfähig, egal ob das Essen nun in ihrem Haus oder völlig zwanglos im Freien stattfand.
    Wenn sie ein wiedergeborener Mogul gewesen wäre, dann wäre sie wohl eine Reinkarnation des Herrschers Akbar gewesen, der in Fatehpur Sikri in Indien die Innenstadt völlig neu hatte erbauen lassen. Um zu vermeiden, dass er selbst und auch die Einwohner der Stadt durch den ohrenbetäubenden Lärm der Steinmetze und Schreiner belästigt wurden, befahl er, sämtliche Materialien an anderer Stelle zu bearbeiten und erst die fertig gestellten Einzelteile zum Bauplatz zu schaffen, um sie dort zusammenzusetzen. Wenn Shaad Karela zubereitete, ein Gericht aus gefüllten bitteren Kürbissen, die Chirnits genannt werden, so band sie nicht einfach eine Schnur um die Kürbisse. Stattdessen nähte sie den gesamten Kürbis am Rand entlang mit Nadel und Faden zu. Der Faden wurde später entfernt, indem man einfach an einem der Enden zog. Auf diese Art und Weise quoll die Füllung bei ihr niemals heraus. Im Gegensatz zu Akbar, der allseits für seine Güte bekannt war, rief meine

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