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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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Die Perser wiederum verarbeiteten Melonen zu Sorbets und Fruchtsäften und servierten sie manchmal sogar eisgekühlt. Sarda-Melonen wurden aber auch über die Seidenstraße aus China eingeführt.
    Obwohl die von mir so gehasste Sarda-Melone also eine glanzvolle Geschichte aufzuweisen hat, war ich fest davon überzeugt, dass es dieser Kultursorte nur deshalb gelungen war, die duftende Cantaloupe, die Honigmelone und die Wassermelone so rüde von unserem Tisch zu verdrängen, weil meine Eltern die Behaglichkeit vertrauter und vorhersagbarer Speisen sabotieren wollten. Obwohl mir irgendwann auch das Ungewöhnliche und sogar das Unerwünschte vertraut wurde, wenn ich nur oft genug damit konfrontiert wurde, was zum Beispiel bei der Büffelmilch der Fall gewesen war, die ich als Kind immer zum Frühstück trinken musste, lehnte ich die Sarda weiterhin ab.
    Im kaschmirischen Haushalt meiner Eltern wurde Obst stets am Ende einer Mahlzeit gereicht. Die Desserts meiner Mutter waren zwar unvergleichlich, blieben aber besonderen Gelegenheiten vorbehalten, zum Beispiel, wenn wir Besuch hatten, bei besonderen Festen oder an moslemischen Feiertagen. An den anderen Tagen gab es anstatt eines Desserts einen grünen Tee, der die Verdauung fördern sollte. In einer perfekten Welt, so wie ich sie mir jedenfalls vorstellte, gab es am Ende jeder Mahlzeit ein köstliches Dessert. In meiner Vorstellung sah ich Reispuddings in Tontöpfen und Karottenpuddings in hohen Schälchen vor mir, ich sah in Ghee gebratene Karottenhalwa mit Mandeln und Rosinen und Bällchen aus Hüttenkäse, die in duftender Sahne gekocht oder in mit Rosenwasser aromatisiertem Zuckersirup getränkt waren. Meine Mutter aber hatte um das Dessert als solches eine geheimnisvolle Aura geschaffen. Sie war fest davon überzeugt, dass nicht zu jedem Essen eine Nachspeise serviert werden sollte. Es sollte im Leben Augenblicke geben, in denen ein Essen festlich, symbolisch, ja manchmal sogar politisch war. Als Erwachsene fragte ich mich oft, ob es möglicherweise nicht doch eine historische Tradition war, die die mangelnde Flexibilität meiner Mutter in diesem Punkt erklärte.
    So erzählt man sich, dass die Hindukönigin Kanrawati, die Rani von Chitor, während der Herrschaft des Großmoguls Humanjun von den Truppen des Königs von Gujarat angegriffen wurde. Also schickte die Königin dem Großmogul ein rakhi und köstliche Süßigkeiten. Bei dieser hinduistischen Sitte, die rakhsa bandhan hieß, band ein Mädchen einen Seidenfaden, rakhi genannt, um das Handgelenk ihres Bruders und schenkte ihm Süßigkeiten, als Anerkennung dafür, dass er sie liebte und beschützte. Die Rani von Chitor hatte Humanjun mit dieser Geste sozusagen zu ihrem Bruder erklärt, in der Hoffnung, dass er sie dann beschützen würde. Der Kaiser, der diese Geste sehr wohl verstand, brach auf der Stelle auf, um der Hindukönigin zu Hilfe zu eilen. Dem Gaumen mit etwas Süßem zu schmeicheln war aber auch aus einem anderen Grund wichtig: Es hatte stets positive Auswirkungen auf die Stimmung. Hatte die Romantik einer solchen Mogultradition meine Mutter dazu veranlasst, uns Kinder nur selten mit einem Dessert zu verwöhnen, damit unsere Vorfreude dieses in eine magische Speise verwandelte?
    Wann immer meine Mutter in meiner Kindheit Gajrela, mein absolutes Lieblingsdessert, zubereitete, sah ich mich veranlasst, die Anzahl der Untaten, die mein Bruder in der Speisekammer beging, noch zu übertreffen. So auch an einem Abend vor dem Tag, an dem das Ende des Ramadan gefeiert wird. Meine Mutter hatte, so wie das jedes Jahr der Fall war, den ganzen Nachmittag in der Küche gestanden und verschiedene Desserts zubereitet. Natürlich hätten ein paar Puddings aus Fadennudeln und Reis durchaus genügt, da die vielen Besucher, die wir zu diesem Fest in unserem Haus erwarteten, ganze Berge von Süßigkeiten mitbringen würden. An diesem Tag gewann jedoch das kaschmirische Temperament meiner Mutter die Oberhand und sie entschied sich, auch noch einen Gajrela zuzubereiten. Der Gajrela ist eine sahnige Mischung aus geraspelten Karotten, Kardamom, Safran, Mandeln und Milch, die zu einer köstlichen korallenfarbenen Creme eingekocht wird. Dieses Gericht ließ bei mir ebenso wie bei allen anderen Mitgliedern unserer weitverzweigten Familie eine geradezu ungeheure Gefräßigkeit zu Tage treten. Was man sich

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