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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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fein hacken. Den Koriander als Granitur über das Gericht streuen. Mit gedämpftem Reis servieren.
    Â 
    Ergibt 6 Portionen.

10
    Der Sirenengesang des Gajrelas meiner Mutter
    WENN DER WEIN, DEN DU TRINKST,
DIE LIPPEN, DIE DU kÜSST,
ENDEN IN DEM,
WAS ALLER ANFANG UND ALLEN ENDES IST,
DANN DENK DARAN, DASS DU,
WAS DU GESTERN WARST,
AUCH HEUTE BIST - UND MORGEN NICHT
WENIGER WIRST SEIN.
    - Omar Chaijam, Rubaijat

    Gelbe Melonen, eines der bevorzugten Saisongemüse meiner Eltern, kamen in unserem Haus in Karatschi jedes Jahr mehrmals auf den Tisch. Mein Vater pflegte die Sarda-Melonen mit einem einzigen Hieb eines Messers zu spalten, so dass das weiße Fruchtfleisch und ein Klumpen brauner Körner zum Vorschein kamen. Dieser Anblick erfüllte mich jedes Mal mit Ekel. Ich hätte die Melone viel lieber wie einen Rugbyball quer über den Rasen vor dem Haus getreten. Meine Eltern behandelten die Sarda-Melone stets mit einer für mich unbegreiflichen Ehrfurcht. Sie erwähnten immer wieder, dass sie aus der Provinz Belutschistan in Westpakistan käme, priesen ihre kühlenden Eigenschaften in geradezu absurd übertriebener Weise und philosophierten stundenlang über das geheimnisvolle Klopfen auf die Schale, das ihnen verriet, ob die Melone reif und süß war. Die Sarda-Melone besaß eine äußere Schale, die genauso undurchdringlich war wie die Haut eines Rhinozerosses, und ein festes, weißes Fruchtfleisch, das mich, egal wie süß es war, in keiner Weise ansprach. Es auch noch zu essen, stellte für mich die reinste Quälerei dar.
    Ich wagte es jedoch nicht, meine grimmigen Gedanken, die mich bei dieser Frucht, die sich auch noch als Dessert ausgab, am Tisch zu äußern. Meine Eltern hatten sich beide in eine förmliche Sarda-Manie hineingesteigert und waren nicht mehr wiederzuerkennen. In mir jedoch keimte der erste Anflug einer Teenagerrevolte gegen die, wie ich es empfand, Unsitte meiner Mutter auf, einfach nur Obst zu servieren, anstatt eines ihrer herrlichen Desserts auf den Tisch zu bringen. Obwohl ich durchaus eine, wenn auch kindliche Meinung zum Thema Essen hatte, fehlte mir letztlich dann doch der Mut, diese Meinung auch zu äußern. Nämlich, dass das wunderbare Abendessen eine Geschichte war, die überaus vielversprechend angefangen hatte, aber dann mit einem miserablen Schluss endete.
    Mein Vater begann die Melone in Stücke zu schneiden, die meine Mutter dann auf einem Teller arrangierte und am Tisch herumgehen ließ. Mein Vater trug dabei ein Gesicht zur Schau, als handelte es sich um eine schier unbezahlbare Delikatesse. Ich konnte ihm das noch irgendwie verzeihen, da ich wusste, dass er die Küche in seinem Leben nur zwei Mal betreten hatte, und das auch nur, um sich dort vorzustellen. Die Tatsache, dass er die Sarda zerteilte, machte ihn jedoch zum Komplizen meiner Mutter, und so fühlte ich mich von beiden Hausgöttern verraten.
    In Pakistan begann die Geschichte der Melonen um 1500 v. Chr. mit der Harappa-Kultur. Diese Zivilisation, die im Industal blühte, baute Städte und trieb Handel mit Mesopotamien, Südindien, Afghanistan und Persien. Sie übernahm das mesopotamische Modell der Bewässerung von Ackerland und baute neben anderen Feldfrüchten auch Melonen an. Weshalb diese Kultur nur ein Jahrhundert später zerfiel und ihre Bevölkerung sich in den nordöstlichen Teilen des Landes verlor, ist bis heute ein Rätsel. Eine logische Erklärung dafür wäre, dass die Menschen sich auf die Suche nach fruchtbarerem Land machen mussten, weil der Mutterboden durch Natureinflüsse abgetragen worden oder durch den intensiven Ackerbau erschöpft war. Sogar eine natürliche Veränderung des Laufs des Indus steht zur Diskussion.
    Als Obstgarten Pakistans gilt die Region Belutschistan mit ihrer Hauptstadt Quetta, die am Fuß des Bolanpasses liegt und von hohen, kupferroten Gebirgszügen umgeben ist. In diesem Gebiet werden Melonen, Trauben, Kirschen, Pfirsiche und Pflaumen angebaut. Von der Stadt Chaman, was Garten bedeutet, aus führt eine Straße direkt ins benachbarte Afghanistan, während die Südspitze Belutschistans an den Iran grenzt. Die Melonen, die in dieser Region wuchsen, waren für die Moguln von großem Interesse, da sie wegen ihrer Robustheit gut zu transportieren waren und außerdem ausreichend Zucker, Ballaststoffe und Saft für eine vollständige Mahlzeit lieferten.

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