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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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unsicherer, angstvoller Stimme, alsmüsse ich in der Schule ein chinesisches Gedicht aufsagen, dann aber sprach ich halblaut, fester werdend, dann noch lauter, mit einem gewissen Vergnügen, das sich in der ostinaten, fast mantrahaften Wiederholung einstellte. Ich schrie die Namen heraus: »Schlampe, Hure, Sau.« Es war wie eine Heiligenbeschimpfung, als würde ich am Karfreitag mit Vorsatz auf ein Kruzifix koten. Es war, als sei ich vom Teufel besessen wie das Mädchen in »Der Exorzist«. Meine Mutter eine Schlampe, eine Hure, eine Sau. Scheiße, verdammt noch mal, verfluchte Scheiße noch mal, das zu sagen tat höllisch gut! Ich griff nach Barbie-Omas Zigarettenschachtel und zündete mir eine an. Barbie-Oma kam zurück, klopfte, rief, ich entriegelte die Tür. Sie hatte ihren Lippenstift nachgezogen.
    »Wissen Sie«, sagte sie, und ein Zittern lag in ihrer Stimme, »ich war einmal schön.«

EIN GLÜCK AUF ZEIT
    »Sie sind es noch«, sagte ich, schon ziemlich betrunken, aber dennoch oder gerade deshalb um den festen Tonfall routinierter Lügner bemüht.
    »Ich weiß auch nicht, warum man das gar nicht mehr sieht«, sagte sie leise, »ich habe alles getan, Cremes, Massagen, Unterspritzungen, Diäten, Sport, Operationen – wissen Sie, ich fühle mich noch jung. Ich möchte flirten, möchte küssen, möchte Komplimente hören. Früher ging es mir auf die Nerven, wenn mir die Kerle auf die Brüste und auf den Arsch gestarrt haben. Aber wissen Sie, was viel schlimmer ist? Wenn keiner mehr starrt.« Ihr Busen runzelte aus dem Dekolleté. Ihre durch Liftings wie im Schreck aufgerissenen Augen wurden feucht.
    Das Beschwörende in ihrer Stimme machte mich hilflos. Ich zog mich aufs Thema zurück. »Wie ging das damals weiter? Wie lange war Müller im Krankenhaus?«
    »Vier Wochen. Ich durfte nicht zu ihm. Dann wurde er entlassen, aber die Hexe hat die Gelbe Villa abgeriegelt. Sie hat die Wachleute abgezogen und neue engagiert, die uns abwiesen.«
    »Wen – uns?«
    »Teuben, Pilz, Bendix.«
    »Durfte Frau Niedel ins Haus?«
    »Die auch nicht. Nicht mal der Nachbar durfte Eier bringen. Er musste sie beim Wachpersonal abgeben.«
    Mein Smartphone vibrierte. Hanna war dran. Barbie-Oma schlich sich mit Zeigefinger am Mund aus dem Zimmer. Vermutlich, um an der Tür zu horchen.
    Hannas Stimme war heiser. »Ach, Herr Kommissar! Ich hab schon gedacht, Sie sind verschütt. Mein Anruf ist schon zwei Tage her. Warum haben Sie denn nicht zurückgerufen? Ich glaube, hier ist etwas Unheimliches im Gang, hören Sie? Etwas ganz und gar Unheimliches.«
    »Hanna, ich habe das Tagebuch gefunden.«
    »Das von Felicitas? Wo war es?«
    »In ihrem Schrank. Ich hab es Ihnen neulich nicht gegeben.«
    »Sie haben mich gefragt, ob sie ein Tagebuch geschrieben hat, dabei hatten Sie es schon? Haben Sie es gelesen?«
    »Bin gerade dabei.«
    »Und?«
    »Was, und?«
    »Steht drin, wer der Mörder ist?«
    »So weit bin ich noch nicht.«
    »Haben Sie das mit Béla Schlosser gehört? Seine Augen waren mit Sekundenkleber verklebt, er ist mit dem Auto in den See gefahren.«
    Glücklicherweise war mir präsent, dass Hanna mich für einen Polizisten hielt. »Den Fall bearbeitet ein Kollege ...«
    »Wenn Sie mich fragen: Es war Mord!«
    »Wenn ich Sie frage, ist es immer Mord. Und Dr. Müller ist der Täter.«
    »Genau! Woher wissen Sie das?«
    »Sie halten ihn doch offenbar grundsätzlich für den Täter!«
    Hanna schwieg gekränkt.
    Ich sah auf die Uhr. Es war schon kurz nach 22 Uhr. »Hören Sie, ich habe im Moment wenig Zeit. Wo ich Sie grad dran hab: Sie hatten mir doch von Müllers Sturz erzählt. Stimmt es, dass Felicitas damals für einige Zeit in die Gelbe Villa gezogen ist?«
    »Ja, sie war ein, zwei Monate dort. Es muss die Hölle gewesen sein. Mord und Totschlag! Steht das nicht im Tagebuch?«
    »So weit bin ich noch nicht.«

SCHUTZENGEL
    Müller hasst Abhängigkeit und Ausgeliefertsein, aber noch mehr hasst er Krankheit und Siechtum. Er hält beides für ansteckend und macht einen großen Bogen um Kranke und Sterbende. Seine Behinderung fordert ihm zu viel Kraft ab, um zusätzlich Empathie produzieren zu können. Er hat das Bedürfnis, sich mit jungen, gesunden, attraktiven Menschen zu umgeben, und er lebt dieses Bedürfnis aus. Diese jungen Menschen blicken andächtig zu ihm auf. Es schmeichelt Müller, von ihnen für komplex und gefährlich gehalten zu werden. Er hält sich selbst mitunter für komplex und gefährlich. Er liebt die Idee, dass

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