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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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geschlechtlich verkehrte, sie skizzierte mit resolutem Strich meine neuen Freunde und Feinde und ließ vor meinen Augen ein hochsubjektives Bild entstehen. Wobei: Ich hatte ja gar keine Feinde. Nie hatte ich einen Feind gehabt. Das war der Kardinalfehler meiner Biographie! Deswegen war ich kein ganzer Mann. Die Müllerin sah sich, so klang es jedenfalls, einer Welt von Feinden gegenüber, Müller inklusive, und ich lief durch die Welt und wollte allen gefallen, fand alle nett, gab niemals oder selten Widerworte, ich war neutraler als die Schweiz, ich war der Mann ohne Eigenschaften. Das musste sich ändern. Ich brauchte einen Feind! Wer von allen, die ich kannte, konnte mein Feind sein?
    M.: Wie siehst denn du aus?
    Ich: Der Lippenstift von einer deiner Nutten. Gefällt dir wohl nicht?
    M.:Mein Gott, zwei Nutten waren hier, na und?
    Ich: Wie, die haben an deiner Tür geklingelt wie die Zeugen Jehovas?
    M.:Ein Freundschaftsbesuch. Ich hatte keine Wahl!
    Ich: Sogar Menschenaffen überlegen, bevor sie wählen.
    M.: Nun mach doch nicht aus einer Nutte einen Elefanten!
    Ich: Sei froh, dass du Brillenträger bist, sonst würd ich dir jetzt eine knallen.
    M.: Ich wusste, es ist eines Tages noch mal zu was gut.
    In den folgenden Einträgen schien die Müllerin weniger von einer rauschenden Karriere als von dem Wunsch beseelt, ihr Schicksal als Mittwochsfrau aufzubrechen, Müllers Aufmerksamkeit darüber hinaus zu erobern, ihn ganz zu gewinnen. Sie schilderte diverse fehlgeschlagene Versuche, ihn in ihre Wohnung im Leuchtturm zu locken. Sie erfand Vorwände, versuchte kleine Erpressungen, bettelte. Er jedoch schien keinerlei Interesse zu haben, ihr Gast zu sein. Was das denn solle, sagte er, sie könne doch ebenso gut zu ihm in die Gelbe Villa kommen. Das sei viel bequemer für ihn, er fühle sich wohl in seiner Umgebung, ihre interessiere ihn nicht. Er habe keine Zeit und keine Lust, sie oder irgendjemanden zu besuchen. So etwas bringe nichts und sei überdies ungemütlich. Im Allgemeinen besuchten »die Damen« ihn, und so sollte es auch bleiben. Aber irgendwann hatte sie ihn offenbar dazu überredet, ihr einen Besuch abzustatten.
    Monatelang hab ich ihn bearbeitet, morgen kommt er mich besuchen. Ich kann mir schon vorstellen, wie. Widerwillig, schlechtgelaunt. Pilz wird ihn vor meiner Wohnungstür abladen, und M. wird mich grob fragen, wie lang es »denn dauern« wird, zehn Minuten, 15 Minuten? Ich werde die Kränkung runterschlucken und hole dann eisgekühlten Champagner aus meinem Kühlschrank, der nie zuvor so kostbare Fracht geladen hatte.

DER STURZ
    Müller hat einmal eine Geliebte gehabt, die ihre Wohnung, nachdem sie seine Bekanntschaft gemacht hatte, für 20 000 Euro behindertengerecht ausbaute, obwohl er gar nicht vorhatte, sie zu besuchen, geschweige denn dort mit ihr zu leben. Allein diese Information hat ihn in seiner Selbstbestimmtheit eingeschränkt, hat ihn auf traumatische Art und Weise ganz und gar dagegen eingenommen, Mätressen durch Gegenbesuche zu solchen Vorstößen zu ermutigen. Es war allein der Tatsache geschuldet, dass die Müllerin, näher besehen, in den Jahren, die sie miteinander verbanden, etwas mehr als eine Mätresse geworden war – was genau, wusste er nicht und wollte er auch nicht wissen –, die ihn letztlich dazu bewog, eine Ausnahme zu machen – was er allerdings, als der Termin herangekommen war, aufrichtig bereute.
    Die Müllerin sieht ihm an, dass es ihm mühsam, ja lästig ist, in ihrer Wohnung zu sein, dass er es nur ihr zuliebe tut, weil sie ihn gebettelt hat, damit »die liebe Seele Ruh« hat, sie sieht ihm an, dass ihm ihr Boheme-Lebensstil missfällt. Es kann ja jeder leben, wie er will, bitte schön, aber er möchte damit nicht behelligt werden.
    »Um Gottes willen«, entfährt es ihm, als er die Kargheit der Einrichtung, die mit Reißzwecken an die Wände gepinnten Filmplakate, das kreative Chaos des Zufalls sieht.
    »Das ist die Wirklichkeit, Eure Majestät«, faucht ihn die Müllerin an. »Ich trinke Wein für 2,99 die Flasche, wenn ich hier bin. Ich esse Konservenfleisch. Und den Kaffee wärm ich manchmal noch mal auf. Aber heute habe ich Champagner gekauft!«
    »Ich erlaube mir, festzuhalten«, erwidert er auf seine unvergleichliche lakonische Art, »dass auch ich ein Stück Wirklichkeit bin! Außerdem: Nur keine Umstände.«
    Sie packt den Rollstuhl und hievt den Protestierenden auf den Balkon, um ihm die ganze Pracht der Aussicht zu zeigen, aber der Balkon hat eine

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