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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Schatten fiel auf die Aufzeichnungen. Ich hob den Kopf.
    Gritli stand windschief zwischen mir und der Morgensonne.
    »Da bist du ja!« Sie setzte sich hin und – streckte ein Bein aus. Vermutlich hätte ich diese winzige Bewegung gar nicht wahrgenommen ohne den Tagebucheintrag der Müllerin. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass Gritli mich die ganze Zeit belügen könnte. Warum auch? Was zum Teufel – ich musste an Max Frischs Herrn Gantenbein denken, der sich jahrzehntelang blind gestellt hatte, bis seine Frau ihn dabei erwischte, wie er im Bad über eine Pfütze sprang.
    »Das wollte ich dir schon länger sagen.« Ihr Blick war meinem gefolgt. »Ich kann laufen.«
    »Wie lange schon?«
    Sie druckste. »Paar Wochen!«
    »Die Wahrheit!«
    »Paar Jahre!«
    »Du simulierst? Du bist meine Compañera in einer Stadt voller Lügner, und jetzt stellt sich raus, du bist auch eine Lügnerin! Du hast mir geholfen bei der Dechiffrierung des Tagebuchs, ich hab dir vertraut, und du hast mich von vorn bis hinten ...«, ich zögerte kurz, »... beschissen!«
    Es schmeckte nicht mehr nach Seife in meinem Mund. Ich war Mutters Fluch los. Aber das spielte keine Rolle, ich war ohnehin in der Hölle. Alles war anders, als es schien, jeder hatte ein zweites Gesicht, das sich ab und zu fratzenhaft zeigte wie in einem Gruselfilm. Plötzlich begriff ich die Herausforderung des Lebens. Richtig oder falsch, hunderttausendmal am Tag muss ein Mensch, der nicht an der Hand der Mutter geht, entscheiden, was richtig oder falsch ist, welchem Menschen er vertraut, welchem nicht. Erfahrung, Urteilskraft und Verstand sind permanent gefordert.
    »Wann hast du beschlossen, es mir zu sagen?«
    »Gestern Nacht im ›Aphrodite‹, die Mädchen haben mich zurechtgemacht, ich hab mich so schön gefühlt, ohne die Orthesen, in halterlosen Strümpfen, mit all dem Make-up, weißt du? Sie haben gesagt, ich soll dich verführen. Aber auf einmal waren die alle da, auch David kam, und ich war wieder ganz verklemmt. Und dann ist das passiert .«
    Die Entjungferung im ›Aphrodite‹! Die schwebende Jungfrau! Derblinde Passagier! »Wer war es? Wer hat mich berührt, als meine Augen verbunden waren? Wer hat – warst du es?«
    Gritli schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht war hell und ebenmäßig, eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen. Auf dem Sattel ihrer Nase wuchsen Sommersprossen. Unter den Augen hing noch ein Rest von Nuttenschminke. Ich war frei, frei, ihr zu glauben, ihr zu misstrauen, sie zu lieben, sie zu hassen, ich war frei. Niemand sagte mir, was ich zu tun und zu lassen hatte. Ich glaubte ihr. Und außerdem: Wir waren alle keine Engel.
    »Ich muss dir auch was sagen!«
    »Was?«
    »Ich bin gar nicht schwul.«
    »Scheiße! Nein?«
    Wir sahen uns mit großen Augen an und lachten, lachten.
    »Weißt du, was komisch ist? Die scheiß Puvogel, die hat immer so Bemerkungen gemacht. Als ob sie wüsste, dass ich eigentlich laufen kann, als ob sie wüsste, dass du mit David rumgeknutscht hast oder mit wem ihr Ex grad rummacht oder die nackte Müllerin, all diese Sachen.«
    »Meinst du, sie spioniert uns aus?«
    »Kann gut sein. Wir könnten ja mal unsere Wohnungen checken auf Wanzen und Kameras.«
    »Los, nix wie heim, in zwanzig Minuten fährt der Bus.«
    Ich half Gritli von der Bank auf, sie schwang gewohnheitsmäßig die Krücken. Wir mussten wieder lachten.
    »Die kannst du doch jetzt eigentlich wegschmeißen«, sagte ich.
    »Wieso, als Behinderte fahr ich umsonst!«

SPUK IM LEUCHTTURM
    Der erste Gast kam Punkt 19 Uhr. Es war Klarhabbisch mit einem großen Teller voller Buttersemmeln, zwei Kannen Kakao und einer Flasche Whisky aus dem Bistro – mein Spezialherrengedeck für Big Ben. Hanna war die zweite, sie drückte mir drei Flaschen Riesling und eine Schale schwarze Oliven in die Hand. David kündigte an, ganz besondere Kekse zu backen und ein paar Matrosen mitzubringen. Ich hatte Frau Puvogel, deren schriftlicher Rausschmiss als Erstes aus meinem Briefkasten gefallen war, auf den Anrufbeantworter gesprochen und sie mit zuckersüßer Stimme eingeladen. Auch Big Ben, Veronika, Herrn Puvogel, Barbie-Oma, Teuben und Miss Marple hatte ich informieren lassen. Und Kuki Bobito hatte ich eine Mail geschrieben an die Adresse, die sie mir ins Ohr geflüstert hatte.
    Es war meine erste Party, die erste in Rizz, die erste überhaupt, Gritli und ich hatten im Überlandbus den Beschluss gefasst, als die Skyline von Rizz vor uns auftauchte. Das Ganze würde

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