Zungenkuesse mit Hyaenen
vergessen. Müller offenbar auch.
»Hast du deine Medis genommen?«, fragte Kuki, schnappte sich Müllers Champagnerglas, warf den Kopf nach hinten und trank es aus. Man sah ihren schwarzen Adamsapfel wandern.
Im Hintergrund kramte Miss Marple in einer Pillendose, griff schließlich nach dem Telefon und wählte eine Nummer. »Herr Doktor Teuben? Niedel hier. Er braucht eine Spritze – ja – ja – zwanzig Minuten?«
Sie wählte eine weitere Nummer: »Herr Bendix? Ja, der Herr Doktor Müller wird sich verspäten. Wie lange, weiß ich nicht. Ihm ist nicht ganz wohl heute früh – Ja? Am besten, Sie kommen vorbei. Wer ist da? Polizei? Presse? Wie, es warten auch 200 junge Frauen in historischen Kostümen? Moment.«
Miss Marple hielt den Hörer an Müllers Ohr. Ich hörte Gürkchens aufgeregte Stimme. Müller lauschte aufmerksam und kicherte wie ein Kind. »Felicitas«, rief er. »Felicitas, wann kommst du, meine Schöne?«
Kuki riss den Hörer an sich und brüllte in die Muschel.
»Gürkchen! Sag das Casting ab! Ich hab die Rolle! Müller hat sie mir gegeben. Er sagt, ich bin wie geschaffen für die Pompadour!«
Es krachte. Müller hatte eben sein iPad vom Tisch geworfen und fuhr nun mit dem fauchenden und jaulenden Elektrorollstuhl darüber, immer vor und zurück, vor und zurück. Das Gerät tat seinen letzten Piepser. Glas splitterte.
Dann rief er mir zu: »Junger Mann, können Sie einen Katheter legen?«
Es gab keinen Zweifel: Müller war verrückt geworden. »Ich – Kann mir das mal einer erklären?«, rief ich.
»Siehste doch, der Alte ist gaga«, rief Kuki. »Wird immer schlimmer! Warum kann der nicht erst durchdrehen, wenn ich die Hauptrolle im Sack habe?«
Alle redeten durcheinander, Miss Marple räumte den iPad-Bruchweg, während Müller in beachtlicher Geschwindigkeit durch die offene Terrassentür in den Garten entkam. Miss Marple nahm, in der einen Hand die Kehrschaufel, in der anderen das Telefon, die Verfolgung auf. Ich lief ihr nach. Gemeinsam versuchten wir, Müller zu bremsen. Der schien gar nicht begeistert.
»Pfoten weg! Hebt euch hinweg, Pack! Fort! Fort!«
Er schlug uns auf die Hände, befreite sich und rumpelte mit seinem surrenden Gefährt über den getrimmten Rasen, geradewegs auf den Swimmingpool zu. Der Rollstuhl rammte die Einfassung des Swimmingpools, kippte nach vorn, und Müller flog in hohem Bogen ins Wasser. Miss Marple und ich standen starr vor Schreck.
Dann überholte uns ein Riese, es war Rübezahl, der mit langen Schritten zum Pool hastete. Er sprang hinein, zog Müller raus, stellte mit der freien Hand den tonnenschweren Rollstuhl wieder auf, als handle es sich um ein Kinderstühlchen, und setzte den Erfolgsproduzenten in den Rollstuhl zurück. Schnaufend lieferte er Miss Marple und mir den zwar tropfnassen, aber total zufrieden wirkenden Flüchtling aus.
»Teuben unterwegs?«, fragte er Miss Marple.
Die nickte.
»Soll ich noch was tun?«
»Nein«, sagte Miss Marple, »das Ausziehen krieg ich selbst hin.«
Draußen fuhr ein Taxi los. Kuki Bobito zog mit pinker Puderperücke in den Kampf um Pompadour, zeitgleich erreichte Teuben mit einem schwarzen Porsche die Gelbe Villa. Der Sicherheitsmann winkte den Leibarzt lässig durch. Teuben kam eiligen Schrittes, mit gebeugtem Kopf, auf uns zu, ganz Haltung und Auftreten eines Leibarztes. In der Küche zog er die Spritze auf. Von hinten hielt ich Müllers Rollstuhl fest. Müller machte Anstalten, erneut gen Garten aufzubrechen, und versuchte herauszufinden, warum das nicht ging. Dann resignierte er, ließ ab, und ich hatte Gelegenheit, mein Smartphone zu checken, was allerdings inzwischen den Geist aufgegeben hatte.
»Mein Akku ist alle«, sagte ich halblaut vor mich hin.
»Meiner auch«, sagte Müller mit traurigem Unterton.
Miss Marple bat Rübezahl und mich, Müller aufs Bett zu hieven, das sie mit einer Folie abgedeckt hatte, riss ihm die nassen Sachen vom Leib, zerrte die Folie unter ihm hervor, warf alles auf den Boden, frottierte den nackten Meister tüchtig ab und verschwand mit dem Packen. Müller kicherte. Teuben, der mir seit der Lektüre des Honigbuches noch unheimlicher geworden war, gab Müller die Spritze, und zwar zu meinem Schrecken in die Halsschlagader.
»Er wird jetzt einige Stunden schlafen«, sagte Teuben, zu mir gewandt, als sei ich der Pfleger. »Ich stelle Ihnen die Medikamente zusammen, die er braucht, wenn er aufwacht.«
Er nahm seine riesige Hornbrille ab, putzte sie mit einem
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