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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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hatte. Hahahaha. Mein lädierter Finger rutschte vom Klingelknopf, weil ich vor Aufregung schwitzte. Eine Hostess nahm mir Blumen und Mantel ab und sagte dann: »Bitte folgen Sie mir ins Herrenzimmer!«
    Ein Herrenzimmer. Ein Zimmer nur für Herren. Auf einem Podest saß breitbeinig ein Mann mit gepuderter Perücke und aufgerissenem Piratenhemd und spielte Cello. War das der Rüpel, der die Tür der Roten Müllerin eingetreten hatte? War er ihr Liebhaber gewesen? Er war es, er musste es sein, sein Profil ähnelte dem auf dem Foto: Nick-Knatterton-Kinn, Schlupflider. Er platzte fast heraus aus seinem Frack. Maskulin um die Schultern, sanft im Strich. Um ihn herum, seine Hingabe ignorierend, ein Dutzend kostümierter Männer, keine Frau. Nicht eine einzige Frau? Wer konnte sich so etwas Grausames wie ein Herrenzimmer ausgedacht haben? Mutter hätte nicht haltgemacht vor einem Herrenzimmer, sie hätte sich den Zutritt keinesfalls verbieten lassen. Dann eher hätte sie Vater den Zutritt verboten. Mutter spielte nicht nur die Hauptrolle, sie spielte die Hosenrolle in meinem Leben.
    »Ja, der Michi!« Big Ben stand vor mir wie ein Berg, Windspiel am Bein, Pfeife im Mund – ein deutscher Bud Spencer. Wenn das kein Herr war, gab es keine Herren. Der Cellist verlor sich oben auf dem Podest in einer komplexen Kadenz, während ich, an ihm vorbei, hinter Big Ben in die Zigarrenschwaden tauchte. Zum ersten Mal lehnte sich mein Innerstes gegen den Kosenamen Michi auf. Michi im Herrenzimmer. Michi in Zigarrenschwaden. Überhaupt, ein 33-jähriger Journalist namens Michi. Das passte nicht.
    »Komm, mein Junge, ich stell dir ein paar Leut vor.« Chef der Rizz-Sparkasse, Oberbürgermeister, Apotheker, Direktor der JVA, Nachtclubbesitzer, Mercedes-Filialleiter, Gerichtsmediziner, Polizeichef. Der Nachtclubbesitzer ähnelte unter seiner Rokoko-Perücke dem JVA-Direktor, aber auch dem Gerichtsmediziner. Es hätte genauso gut andersherum sein können. Ich vergaß jedes Gesicht, jeden Namen sofort.
    »Ein vorzüglicher Burgunder«, hörte man jemanden rufen, während er Rotwein in einem großen Kelch hin und her schwenkte. Es war ein kleiner, Woody Allen ähnelnder Mann. Seine Brille war riesig, seine Hosenträger zogen die rotsamtene Pluderhose im Schritt zusammen. Er blickte traurig drein. Vielleicht kniff die Hose. Ich kannte ihn von einem der Zeitungsfotos. Er war der Leibarzt von Müller. Ich benutzte das Gästebad, fand dort weder eine Wanne noch ein Krokodil, aber kritzelte alles in meine Kladde.
    Big Ben führte mich später in eine düstere Ecke des Herrenzimmers und tat geheimnisvoll. Erst konnte ich gar nichts erkennen. Ich hörte nur zwei Männerstimmen, eine sonore, eine im Falsett.
    »Teuben, ich sage Ihnen, es spricht nichts gegen das Steinigen von Ehebrecherinnen im Islam.«
    »Sie belieben zu scherzen, Herr Doktor!«
    »Wo denken Sie hin? Warum soll man eine untreue Frau nicht bestrafen?«
    »Das sollten Sie unsere Kardiologin nicht hören lassen. Sie engagiert sich für diskriminierte Frauen im Iran.«
    »Was soll man auch sonst machen, wenn man so hässlich ist!«
    Ich hielt die Luft an. Diese Unverfrorenheit! Ich hatte dergleichen noch nie gehört. Eine Silhouette schälte sich aus der Dunkelheit. Der Löwenkopf, die Beethovenmähne, der Rollstuhl. Kein Zweifel,er war es: der Erfolgsproduzent. Er trug kein Kostüm. Er hatte keines nötig. Nur einen schwarzen Hut hatte er auf dem Kopf, einen Borsalino, der auf seine Augenpartie einen obskuren Halbschatten warf. Es war wie in einem Gangsterfilm, Müller mit seinem hartgesottenen, zerklüfteten Gesicht glich Jean Gabin in »Der Clan der Sizilianer«.
    »Vorsicht. Dieser Mann soll Manschettenknöpfe aus menschlichen Backenzähnen haben«, sagte Big Ben, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Und das«, er wendete sich zu mir und ließ seine Pranke auf meine Schulter sausen, »ist der Patensohn. Und zwar meiner. Michi Rothe, Monas Bub. Netter Kerl, aber säuft wie’n Loch! Kleiner Scherz!«
    »Michael«, verbesserte ich ihn leise.
    »Unsere Mona?«, sagte Müller. »Das ist ja interessant.«
    Er streckte mir die Hand hin, ich war wie vom Donner gerührt.
    »Was ist?«, sagte Müller. »Sind Sie allergisch gegen Krüppel?«
    »Hahaha«, lachte Big Ben, »schenial.«
    »Nein, ich ...« Hastig mich vorbeugend, fast verbeugend, streckte ich meine Hand hin. Sein Händedruck war wie ein Sandwich aus Stahl, meine Hand der Belag. Er grinste. Er sah mich durchdringend an. Ich

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