Zungenkuesse mit Hyaenen
ich der Büfettier, und half ihm beim Tasten. Tatsächlich fand ich die Kontaktlinse im Schinkenfleisch und drückte sie ihm in die schwielige Hand. Dann zog ich das blaue Augentropfenfläschchen aus der Innentasche meines Fracks. »Hiermit können Sie sie desinfizieren.«
Er dankte mir, dann fiel sein Blick auf meine Brust. »Was!«, rief er. »Das ist meins.«
»Der Frack? Verzeihung! Ich habe ihn gefunden.«
»Wo?«
»Im Schrank meiner Vormieterin.«
»Felicitas? Du wohnst in der Wohnung von Felicitas?«
Ich nickte. Wir begannen, die Aufmerksamkeit im Saal auf uns zu ziehen.
»Zieh! Es! Aus!«, rief der Cellist. »Sonst hau ich dir eine aufs Maul.« Er packte mich am Kragen und schüttelte mich.
Ich zog den Samtfrack aus, er zerrte ihn mir weg und ging, ich sah ihm nach. Er hatte die Tür der Roten Müllerin eingetreten. Er hatte mit ihr auf dem weißen Laken gelegen. Für ihn hatte sie ihre roten Pumps getragen. Für sie hatte er sein rotes Samtjackett ausgezogen.
Hemdsärmelig drängte ich mich durch eine Gruppe duftender Barockdamen zu einem Stehtisch, an dem ich einen guten Überblick hatte. Eine der Figuren war riesengroß, dunkelhäutig und sah mit all den Goldborten aus wie ein überdimensionaler Sarotti-Mohr. Ich hatte ihr Foto im Mittagskurier gesehen. Kuki Bobito, die Pantherfrau, die neue Tatort-Kommissarin. Sie war von mehreren Fotografen umringt und balancierte, fremd wie ein Fabelwesen aus »Avatar«, ihren Teller über gepuderte Perücken hinweg. Als sie sich an mir vorbeischob, ihren Steiß in meinem Kreuz, geriet ihr Teller aus dem Gleichgewicht. In letzter Sekunde fing ich ihn auf. Unsere Blicke trafen sich. Sie wisperte mir etwas zu, das wie »Siehst geil aus« klang, schritt vorbei und stellte den Teller wortlos auf das Smartphone in Müllers Schoß. Drei Glasnudeln hingen mir wie ein Versprechen am Hemdkragen.
ANTILOPEN
Kuki Bobito wird 1981, im Jahr der Sankara-Revolution, in Burkina Faso geboren, noch im selben Jahr werden ihre Eltern von rivalisierenden Banden getötet. Kuki verbringt ihre Kindheit, Sankaras Schlachtruf »Vaterland oder Tod, wir werden siegen« auf den Lippen, mit ihren fünf Brüdern in der flachen, trockenen Savannenlandschaft unterhalb der Sahara. Sie ernähren sich von Süßgräsern und Wüstendatteln und erlegen mit etwas Glück und selbstgebauten Katapulten Antilopen, die Kuki zu schlachten, zu häuten und überm offenen Feuer zu braten lernt. Bis zum Alter von fünf Jahren weiß Kuki nicht, dass sie ein Mädchen ist. Erst als ein Wegelagerer sie überfällt, zwei ihrer Brüder tötet und beim Versuch, sie zu vergewaltigen, von ihrem ältesten Bruder erschlagen wird, begreift sie, dass sie härter, besser, schneller sein muss als ihre Brüder, um zu überleben.
Ein Entwicklungshelfer findet Kuki zehn Jahre später in verwahrlostem Zustand in einem fast ausgetrockneten Flussbett, mit Krokodilen um Wassertropfen kämpfend. Er notiert, dass sie »eine Mischung aus Dschungelkind, Kaspar Hauser und Nell« sei, verliebt sich heimlich in sie und vermittelt die baumlange, stets finstere Jugendliche an das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Berlin, wo sie verschiedenen Tests unterzogen wird. Nachdem bei ihr eine hohe Intelligenz sowie ausgeprägte kreative Fähigkeiten festgestellt werden, sponsort man Kuki Bobito einen Intensivkurs »Deutsch für Ausländer«. Sie gewinnt eine Schauspielprüfung, legt ihren Akzent ab und agiert fortan auf dem heißumkämpften Film- und Fernsehmarkt mit derselben Unerbittlichkeit, mit der sie an der Tränke gegen Krokodile gekämpft hatte. Vaterland oder Tod, wir werden siegen. Für Kuki Bobito geht es um alles oder nichts. Sie ist umgeben von Feinden,und sie ist bereit, diese Feinde wie Antilopen zu erlegen. Der nahezu schwärmerisch ausländerfreundliche Ton in Deutschlands Medienlandschaft spielt ihr in die Hand. Sie braucht die Diskriminierungskarte nie zu ziehen, sie hat es nicht einmal nötig gehabt, auf ihre schwere Kindheit als missbrauchtes Waisenkind in einem der ärmsten Länder der Welt hinzuweisen, sie setzt pantherhaft Fuß vor Fuß, und wer ihr in den Weg gerät, den beißt sie weg.
DURCHFEUDELN
Es war ein schwülmilchiger Frühlingsmorgen, ich war bereits angekleidet und blickte, eine Tasse schwarzen Bohnenkaffee in der Hand, auf Rizz hinab. Der Verkehrslärm rauschte gedämpft durch die Fenster. Der gelbe Kran reckte gebieterisch sein Haupt. Bunte Autos klumpten in Staus zusammen.
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