Zungenkuesse mit Hyaenen
»Verdammt sind sie alle«, die Mutter so mochte. Die Lehrerin verachtet alle Männer, weil sie an ihren Motiven zweifelt.
»Mit ihm wirst du durch die Hölle gehen, hab ich ihr damals gesagt. Und sie sagte: Da wollte ich schon lange mal hin.«
Sie lachte unter Tränen. Die Rote Müllerin hatte ihr Zugang zu einer Welt verschafft, die nun für sie verschlossen war.
»Sie fehlt mir«, stieß sie aus, hob theatralisch die Schultern und schluchzte erneut.
Ich streichelte ihren Oberarm, der einem Schenkel glich. Was konnte ich sagen? Mir fehlte Felicitas auch; sie fehlte mir, ohne dass ich sie jemals getroffen hatte. Ich lebte in ihrer Wohnung, putzte mir die Zähne mit ihrer Zahnbürste, onanierte auf ihr weißes Laken.
Es war, wie ich vermutet hatte. Hannas Mordtheorie schien auf nichts als auf Eifersucht zu basieren. Müller hatte ihr Felicitas weggenommen. Müller hatte sie verschmäht. Hanna empfand ihn als unlauteren Konkurrenten. Die Beziehung zwischen dem Erfolgsproduzenten und der Roten Müllerin schilderte sie als hochkomplexes Gespinst aus Aufs und Abs, als unehrlich und egoistisch, als unverbindlich, verlogen, von Lippenbekenntnissen, Eitelkeiten, grausamen Ritualen und emotionalen Abhängigkeiten geprägt. Sie sei von Anfang an gegen die Verbindung gewesen, aber Felicitas habe ja vorgezogen, sehenden Auges, se-hen-den Auges, sie wiederholte und betonte das, indem sie bei jeder Silbe auf ihr Knie klatschte, in ihr Verderben zu rennen.
MATCH MADE IN HEAVEN
Hanna und Felicitas lernen sich an der Filmhochschule kennen, beide studieren Dramaturgie. Sie führen eine Zweckbeziehung, in die Hanna Elemente der Bewunderung, der Organisation und der Stabilität einbringt und Felicitas eher fürs Genialische steht. Beide sind neunzehn. Hanna, eine opponierende Erbin, fühlt sich von Felicitas angenommen, Felicitas, die aus armen Verhältnissen stammt, findet in Hanna die perfekte Verbindung von Publikum, Mäzenatentum, Leibwächterschaft und Assistenz. Beide teilen sich eine Wohnung und finanzieren ihr Studium durch Jobs. Hanna, die unabhängig vom Geld ihrer Familie sein will, schreibt nebenbei Filmkritiken fürs Stadtmagazin, Felicitas, die ein Begabtenstipendium erhält, das jedoch bei ihrer Lebensführung hinten und vorn nicht reicht, verkauft Bratwürste im Bauchladen vorm Karstadt und wird gelegentlich als Kleindarstellerin gebucht. Hanna ist pünktlich, achtet auf ihre Sprache mehr als auf ihre Figur, raucht nicht, trinkt keinen Alkohol und lehnt äußere Verschönerungsmaßnahmen wie Make-up und Bauch-weg-Höschen radikal ab. Felicitas zelebriert die elegante Verkommenheit großstädtischer Boheme mit dem Feuereifer einer Konvertitin. Ihrem unstillbaren Nachholbedürfnis in Sachen Glanz, Glamour und Anerkennung ist es geschuldet, dass sie sich auf jedwede Art berauscht, Männer anschleppt, die Hanna morgens nackt im Bad antrifft, mit Hanna kifft, kocht oder französische Liebe macht, nachts ihre Heißhungerattacken an Hannas Vorräten auslebt und dann lässig irgendwohin kotzt.
Beide sind – zumindest ist das Hannas Meinung – eine Art Match made in Heaven. Bis zu jenem Tag, an dem sie sich mittags vor der Cinemathek verabreden. Bis zu jenem Tag, an dem Müller auf vier Rädern in sie hineinfährt, um ihr Glück zu zerstören und Felicitas zu rauben. Die kommt soeben mit grünen Kontaktlinsen und roterLockenperücke – angeblich vom ersten Casting für eine Sprechrolle.
Hanna und Felicitas begrüßen sich und laufen in den großen Vorführsaal, Hanna semmelt auf schiefgetretenen Turnschuhen vorneweg, Felicitas stakst im roten Kleid auf roten Hacken hinterher – da ist Müller. Vor einer zweistufigen Treppe, in Krawatte und maritimem Goldknopfblazer. Er sitzt im Rollstuhl, und dennoch geht von ihm Gefahr aus. Er ist ein Gegner, ein ernstzunehmender Gegner, das wittert Hanna sofort. Mephistophelisch, so ist Müllers erster Auftritt. Riecht es nicht sogar ein bisschen nach Schwefel?
»Müller!«
»Müller!«
Der Mann im Rollstuhl blickt anerkennend an Felicitas auf und ab. Hanna ist für ihn unsichtbar. »Sind Sie etwa DER Müller?«, fragt Felicitas und zeigt auf das Plakat, auf dem der Vortrag angekündigt ist. »Sind Sie etwa DIE Müller?«, fragt er und lässt offen, was er meint. Gemeinsam mit Hanna versuchen sie, den Rollstuhl die Stufen hochzubugsieren, in den Saal. Es klappt aber nicht. Ein Mann im Anzug übernimmt, schiebt ihn auf die Bühne, wo tosender Applaus ihn empfängt. Müller ruft
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