Zungenkuesse mit Hyaenen
kleinere Filmrollen besorgt und ihm Privatpatienten geschickt. Durch Müller ist Teuben der berühmteste Arzt der Stadt geworden, einer, der in Klatschgazetten steht, der auf Veranstaltungen im Kameraschwenkbereich sitzt, der in Fernsehsendungen als medizinische Kapazität auftritt und dem Frauen verheißungsvoll zulächeln. Zeigt er auf eine, dann bekommt er sie auch. Müller macht’s möglich. Müller hat alle Frauen brüderlich mit ihm geteilt. »Was mein ist, soll auch das Ihre sein«, hat er gesagt. Immer per Sie.
1000 GELIEBTE
»Wie Sie vielleicht gelesen haben«, sagte Müller zu mir, »werde ich bald sechzig.«
Er machte eine kleine Pause.
»Unmöglich«, soufflierte Gritli.
»Unmöglich«, sagte ich.
»Doch, doch. Ich hab mir also gedacht, dass wir vielleicht eine Geschichte machen, so in etwa: Sechzig Dinge über Erfolgsproduzent Müller, die Sie noch nicht wussten.«
Es rauschte in meinem Ohr, Gritlis Stimme war verschwunden.
»Das ist – eine gute Idee«, stammelte ich.
»Klar ist sie gut. Ist ja auch von mir. Ähm – Gürkchen? Bringen Sie mal die Vorlage?«
Der Mann, der Müller auf Big Bens Party die Zigarre gereicht hatte, war plötzlich aufgetaucht. Er reichte Müller nun einen Zettel. Müller warf einen Blick darauf, kicherte vorfreudig und hielt mir den Zettel hin. Ich sprang von der Couch auf, griff danach und setzte mich wieder. Es war ein computergeschriebenes Blatt. Verwirrt las ich Stichworte wie »Schwäche: Autos, Uhren, Frauen, Zigarren, trägt immer Turnschuhe, Blazer, Borsalino, abergläubisch, hat promoviert über Gottfried Benn, trinkt Champagner aus Frauenschuhen, sitzt seit einem Autounfall im Rollstuhl, soll 1000 Geliebte gehabt haben, drei Frauen haben sich wegen ihm umgebracht ...«
Ich las halblaut vor, damit auch Gritli im Bilde wäre. »Das ist ...«, sagte ich dann, »... imponierend.«
»Ich imponiere hauptberuflich«, sagte Müller trocken. »Wie finden Sie die Idee?«
Das Rauschen schwand, und Gritlis Stimme war wieder da. Ich wiederholte ihre Worte: »Also – Was genau IST die Idee?«
»Na, hab ich doch gesagt! Sechzig Dinge über Erfolgsproduzent Müller, die Sie noch nicht wussten.«
»Aber – das mit dem Champagner aus dem Frauenschuh steht in jedem Artikel über Sie.«
»Ach ja? Na und?«
Müllers Smartphone vibrierte. Er las eine neue Nachricht. Im Hintergrund fischte Miss Marple gerade etwas, das aussah wie ein Frauenschuh, aus einem Aquarium.
»Und das mit dem Autounfall auch.«
»Hab ich das etwa schon mal erzählt?«
»Mehrfach. Und dass Sie 1000 Geliebte gehabt haben sollen, die Selbstmorde – es klingt – wie soll ich sagen? – etwas unwahrscheinlich.«
»Finden Sie? Wegen Benn haben sich auch drei Frauen umgebracht. Wieso soll das denn unwahrscheinlich sein? Na gut, nehmen wir eben was anderes. Was halten Sie von ...« Müller blickte sinnierend an die Decke, wo ein großer Kristallleuchter frei im Dachfirst schwebte »... schmeißt manchmal Gläser an die Wand, liebt das Meer – ähm – geht ins Bordell und steht auch dazu. Was in der Art?«
»Ja – toll, denken Sie sich diese Dinge gerade aus?«
Er warf mir einen Blick zu. »Als ob es darum ginge. Warum sollte es nicht stimmen? Oder meinen Sie etwa, das da«, er zeigte über seine Schulter Richtung Garten, »sind meine Enkelinnen?«
Ich verstummte. Gritli brabbelte vor sich hin. Draußen fuhr der Leibarzt weg, Miss Marple und der Assistent hatten sich entfernt. Müller und ich schienen allein in dem riesigen Haus zu sein, vor der Tür quiekten die Blondinen, die nicht Müllers Enkelinnen waren. Ich sah mich in einer unangenehmen Lage. Hier war es, mein Exklusivinterview, vermittelt von meinem Patenonkel. Ich brauchte mir den Artikel nur diktieren zu lassen.
»Was schauen Sie denn so enttäuscht? Wollten Sie etwa ein investigatives Stück machen? Wollten Sie aufdecken, dass ich ein Steuerhinterzieher bin, ein Simulant, ein Mörder? Sie haben Pech. Ich hab nur Wein im Keller, keine Leichen.« Er lachte kurz und schnappend.
»Sehr lustig«, soufflierte Gritli zickig, aber ich wiederholte ihre Worte nicht. Ich blieb stumm. Müller war so schrecklich direkt. Es war mir peinlich, wie direkt er war. Die Gespräche in Rizz hielten sich nicht an den Grimmelshausener Code. Sie sprangen einen wie Tiere an, Frau Puvogel, David, Gritli, Big Ben, Kuki Bobito. Alle überschritten die Grenzen, taten und sagten Dinge, die man nicht tut und nicht sagt. Ich war nie zuvor unter Menschen
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