Zungenkuesse mit Hyaenen
gewesen, die Pissflaschen wie Gebäck reichten, mich ausfragten, anfassten, mit Zunge küssten, unter Drogen setzten und in die Enge trieben. Man kam in Rizz nicht weit mit Mutters »Wie geht’s der Frau Gemahlin? Zu Hause alles gesund? Die Kinder wachsen und gedeihen?«. Ich musste lernen, angemessen zu reagieren.
Das Thema Rote Müllerin hatte ich in der Tat anschneiden wollen, aber erst später, wenn wir uns warmgeplaudert hätten. Und nun kujonierte mich Müller mit Mord. Ich durfte auf keinen Fall kuschen!
»Wer redet denn hier von Leichen«, schlug Gritli vor, aber ich folgte nicht.
»Sehen Sie, Herr Doktor Müller«, sagte ich zögernd, »das ist meine erste große Geschichte. Ich will nicht, dass sie gedruckt wird, weil ich der Patensohn vom Verleger bin. Oder weil der Verleger bei Ihnen einen gut hat. Oder damit da einfach Buchstaben stehen. Ich will etwas Gutes machen. Und um etwas Gutes zu machen, kann ich mir nicht von Ihnen in den Block diktieren lassen.«
»Was Gutes machen, so ein Scheiß«, stöhnte Gritli in meinem Ohr.
Auch Müller verzog das Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. »Etwas Gutes? Wie meinen Sie das: Gut? Gut in welchem Sinne?«
Immerhin, er schien munterer zu werden. Seine Haltung strafftesich, er packte ein Bein und legte es auf das andere, als stapele er Holz. Sein linker Fuß lag nun auf seinem rechten Knie. Er hatte es sich bequem gemacht. Das war durchaus ein gutes Zeichen. Ich hatte das Gefühl, das Pendel könnte nun nach zwei Seiten ausschlagen. Er könnte sagen: Sagen Sie mal, Sie windiges Nichts von einem Verleger-Patensohn, was denken Sie eigentlich, mit wem Sie hier sprechen? Er könnte aber auch sagen: Interessanter Ansatz! So oder so, etwas hatte geklickt. Vor dem Fenster bog eine Windböe die Pappeln. Eine der Blondinen hatte sich auf eine alte rostige Schaukel gesetzt, die mitten auf einer Wiese stand. Sie schwang auf mich zu, ihr Kleid schlug hoch. Tief gebräunte Mädchenbeine, ein weißes Höschen.
»Ich nehme an, Sie sind gut?«, fragte Müller unverhohlen spöttisch. »Ich nehme an, Sie haben ein Konto bei einer ethischen Bank, trinken fair gehandelten Kaffee und unterstützen Greenpeace?«
»Selbstverständlich! Sie nicht?«
»Ich trinke den besten Kaffee, bin bei der Bank mit den höchsten Zinsen und unterstütze den örtlichen Bordellbetrieb. Wissen Sie was? Wie heißen Sie gleich noch mal?«
Ich räusperte mich. Vor Schreck war mir mein Name entfallen.
»Michael Rothe«, soufflierte Gritli.
»Ich werde Sie Meikel nennen! Wissen Sie was, Meikel? Ich verstehe Sie. Ich kam auch eines Tages in die große Stadt mit großen Träumen. Ich wollte was ändern. Ich hatte Ideale. Ich kann mich durchaus – ähm ... und gründlich in Sie hineinversetzen. Ich bin gerade in der Stimmung, mich in Sie hineinzuversetzen. Schauen Sie, ich würde Ihnen gern helfen. Nun, was meinen Sie, wie kann ich Ihnen helfen?«
Er neigte sich abwartend nach vorn und steckte das Smartphone in die Brusttasche seines Oberhemds. Ich sah die Fotos an der Wand: Müller und Francis Ford Coppola. Müller und Robert de Niro. Müller und Leonard Bernstein. Müller und Queen Elizabeth. Müller mit demunvermeidlichen Stöckelschuh in der einen, einer Flasche Dom Pérignon in der anderen Hand. Müller, synchron-wangengeküsst von den Kessler-Zwillingen in Glitzeranzügen. Das größte Foto von allen war das Schwarzweißporträt einer altmodisch gekleideten älteren Dame mit mittelgescheiteltem Haar und strenger Pose, deren ehrfurchtgebietend eulenhaftes Gesicht mich an Mutters erinnerte. »Wer ist das?«, fragte ich.
»Die Müllerin«, sagte Müller knapp. »Die Frau, der ich alles verdanke.«
»Aber – das ist doch nicht die Müllerin!«
»Die Gräfin, hab ich gesagt. Das ist die Gräfin.«
DIE GRÄFIN
Die Gräfin hat sich im Lauf der Jahre zur Königin seines Damenolymps hinaufgearbeitet. Dort thront sie wie Kleopatra. Keine andere Frau kann sie vom Sockel stoßen. Ihre hochgeschlossenen Kostüme, ihr herrisches Gebaren, ihre Allmacht.
»Was fällt dir ein, in diesem Ton mit mir zu reden?«, hatte sie ihn oft angefahren, damals, als er jung und formbar war. Da ist sie schon alt, dreißig Jahre älter als Müller, eine zähe, hochgebildete Frau aus besten Kreisen, seine Chefin, seine Göttin. Ernestine von Dohna, eine uneinnehmbare Festung, streng, hochfahrend, reserviert. Ihrer Familie hat ganz Schlesien gehört. Niemand kommt an sie heran. Alle sind hinter ihr her, aber
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