Zungenkuesse mit Hyaenen
Ulrike Folkerts, ging aber noch einen Schritt weiter. Dem Mörder zum Beispiel, den Folkerts nur grimmig angeschaut hätte, tritt die Kuki-Kommissarin in den Bauch und brüllt ihn an: »Du Klappspaten bringst nie wieder einen um, solange ich lebe, kapisch?« Das war stark. Ich hatte beim Anschauen des Films mehrfach an Mutter denken müssen. Wie er ihr wohl gefallen würde? Der »Tatort« hatte zu Mutters und meinem sonntäglichen Fernsehritual gehört. Mutters Lieblingskommissarin war Maria Furtwängler gewesen, die ich allerdings unerotisch fand, meiner Til Schweiger, den Mutter verachtete, weil er so viel herumballerte. Jan-Josef Liefers, der im sehr populären Münsteraner Tatort den Gerichtsmediziner Börne spielte, war uns beiden zu albern.
Miss Marple hatte eine deftige Brotzeit angerichtet. Ich war hungrig, aber die ungewohnte Situation hemmte mich. Kuki Bobito griff nach einer Olive, wischte sie mit einer Serviette ab, betrachtete sie misstrauisch, biss ein winziges Stück ab und legte den Rest auf ihren Tellerrand. Die Blondinen kratzten Butter auf Brotscheiben, Veronika verkündete, sie habe keinen Hunger.
»Oh, ein Dramolettchen«, sagte Müller und tätschelte über den Tisch. »Darling, willst du Kaviar?« Er drehte sich nach Miss Marple um. »Frau Niedel, haben wir Kaviar?«
Miss Marple schüttelte mürrisch den Kopf.
»Ich hasse Kaviar«, sagte Veronika.
»Da hab ich eine gute Nachricht«, sagte Müller, »wir haben keinen.«
»Ich frag mich, wo meine ganzen Großaufnahmen hin sind«, murmelte Veronika.
»Meine sind drin«, sagte Kuki und bleckte die Zähne.
»Von dir gibt’s auch eine«, sagte Müller zu Veronika. »Wo du die Leiche findest.«
»Ja, aber da sehe ich unvorteilhaft aus.«
»Du kannst gar nicht unvorteilhaft aussehen.«
»Du bist wie Fassbinder. Der hat Schygulla das gute Licht weggenommen und es der Sukowa gegeben.«
»Aber erst, als es die Schygulla hinter sich hatte«, sagte Müller und prüfte sein Smartphone, das seit fünf Minuten nicht mehr vibriert hatte. »Gürkchen, etwas Wurstsalat? Den hat Frau Niedel selber gemacht.«
Müller schaufelte sich Wurstsalat auf den Teller und wandte sich mir zu. »Ich liebe einfache Genüsse. Sie sind die letzte Zuflucht komplexer Naturen.«
»Lord Henry«, sagte ich, »das Bildnis des Dorian Gray.«
Danke, Mutter!
»Gürkchen, hören Sie das?«, rief Müller mit gespieltem Zorn. »Der junge Mann enttarnt meine Bonmots als geklaut! Hihihi! Gut, dass Sie literarisch nicht gebildet sind! Das ist ja imageschädigend«
Gürkchen zog eine Schnute, und seine kleinen, tückischen Mausaugen zuckten nervös. Genaugenommen, zuckte nur das eine, das andere blieb starr. Vermutlich war es ein Glasauge. Gürkchen aß sein Mettwurstbrot mit Messer und Gabel, teilte kleine Häppchen ab und führte sie mit gezierten Bewegungen zum Mund. Anders als David, der immer wieder mit seiner beringten Hand beherzt auf den Schinkenteller griff und gleich mehrere Scheiben auf einmal in sich reinstopfte, kaute Gürkchen mit der mahlenden Kieferbewegung von Weidevieh jeden Bissen lange und bedächtig.
GÜRKCHEN
Rainer Maria Bendix, genannt Gürkchen, war ein weiches Kind. Die Eltern überschütteten ihn mit Liebe, oder mit dem, was sie für Liebe hielten, aber es nützte nichts, es war, als würden sie auf einen trockenen Biskuitkuchen spucken. Er war ohne Selbstvertrauen, ohne Inspiration, ohne Glanz. Er wuchs unter ständigen Zahnschmerzen auf und bewegte sich wie jemand, der keinen Schatten hat, immer mit dem Rücken an der Wand, immer katzbuckelnd vor Stärkeren. Stets war er auf der Suche nach Ärschen, in die er kriechen konnte. Er reichte dem Vater die Tasche, den Hut, arbeitete ihm im Garten zu und im Büro. Der Vater musste feststellen, dass sein Sohn der geborene Diener war, der enge Lebenskreise zog, der sich mit dem begnügte, was man ihm auftrug. Nur einmal zeigte Rainer Maria Interesse, und zwar an einer Butlerschule im fernen Schottland. Das kam jedoch gar nicht in Frage. Er studierte auf Geheiß des Vaters Jura, mit viel Fleiß und wenig Begabung. Er beendete sein Studium und trat – auf Empfehlung seines Vaters, eines angesehenen Steuerberaters – in die renommierte Anwaltskanzlei Hürlimann & Partner ein, die von Luzern nach Rizz gezogen war. Der Unfalltod des alten Hürlimann schleuderte Gürkchen aus seiner lebenslänglich geplanten Umlaufbahn. Dann traf er Müller, seinen Meister, und fand in ihm ein ungeahntes Ausmaß an Glück.
In
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