Zungenkuesse mit Hyaenen
um 6 Uhr erklang ein Gong. Ich brachte die Verkabelung nicht selber zustande und ließ sie weg. Unten empfing mich Gürkchen und führte mich in einen Vorführraum, der aussah, als gehöre er einem Hollywood-Mogul. Zehn Ledersessel, größer noch als die von Big Ben, und eine riesige Leinwand. Sogar ein rostroter Samtvorhang war da. Ich hatte im Mittagskurier gelesen, dass Müller ausgewählte Gäste einlud, um ihnen seine neuesten Produktionen vorzuspielen, und dass man sich glücklich schätzen konnte, dazuzugehören.
»Herrn Bendix haben Sie ja schon kennengelernt«, sagte Müller. Gürkchen, ein kleiner, dünner Mann mit einem starren Auge, lächelte mir zu. Ich hatte ihn bisher noch nicht sprechen hören. Ob er stumm war?
»Herr Bendix ist meine rechte und meine linke Hand, er erledigt unappetitliche Dinge für mich«, sagte Müller.
Gürkchen lachte tonlos auf. Kurz sah ich vor mir, wie Solozzo in »Der Pate« Luca Brasis Hand mit einem Steakmesser auf den Tresen nagelt.
»Ein Scherz«, sagte Müller, nachdem er sich an meinem Unbehagen geweidet hatte. »Gürkchen kann keiner Fliege was tun. Die unappetitlichen Sachen muss ich von anderen erledigen lassen. Gürkchen kümmert sich ausschließlich um appetitliche.« Müller zeigte auf die drei Blondinen. »Das sind – wie heißt ihr eigentlich?«
Die Mädchen stellten sich vor: Janine, Jacqueline und Jana. Etwas in der Art. Sie trugen Rizzer Schichtfrisuren, oben blond und untenschwarz. Sie hatten stark gebräunte, hübsche, geistlose Gesichter, die einander ähnelten. Ihre Sommerkleider hatten sie gegen Abendkleider getauscht. Ob Müller auch sie festhielt? Oder lebten sie gar freiwillig hier?
»Sucht euch einen Platz, ihr Schönen, husch, husch, Gürkchen versorgt euch mit Champagner.«
Es läutete an der Tür, Miss Marple brachte weitere Gäste in den Vorführraum. Es war David in Begleitung zweier Damen. Die eine war – Kuki Bobito! In der anderen erkannte ich Veronika, die schöne Freundin der Roten Müllerin. Feuer stieg mir ins Gesicht. Aus mehrerlei Gründen.
»Na hallllo«, rief Kuki Bobito zu mir herüber, mit spitzer rosa Zungenspitze und der Betonung auf dem »a«, hielt die hellgraue Handfläche hoch wie ein Häuptling und drückte ihr vorspringendes Maul auf Müllers Mund. Dann musterte sie, leicht angewidert, die Blondinen und machte eine Trinkgeste in Richtung Miss Marple, die sofort mit einem Champagner-Tablett herbeieilte. Kuki kippte einen Champagner auf ex und griff dann ein zweites Glas. Sie trug ein Barett aus rotem Leder und ein mit Raubtierflecken übersätes Bodypainting, vielleicht war es ein Overall.
»Ihr zwei kennt euch bereits, wie ich sehe?«, stellte Müller fest und nickte in Richtung der verbleibenden zwei Neuankömmlinge.
»Das ist ... my favorite designer – der bedeutendste Modeschöpfer von Rizz. Er entwirft Maritimes und Herrenschmuck. Ich schätze mich glücklich, heute einen von ihm entworfenen Blazer zu tragen ...«, er zeigte an sich herunter auf einen Zweireiher mit zwei Dutzend wuchtigen Goldknöpfen, »... und einen seiner Ringe.«
Er hielt seine leere Hand hoch, sah den Irrtum und griff in die Tasche seines Blazers, um einen goldenen Siegelring vorzuzeigen, dessen längliche, leicht asymmetrische Form mir bekannt vorkam. Anstatt sich von Müllers Lobeshymne geschmeichelt zu zeigen,beugte David nur höflich den Kopf, als sei er ein von einem Diktator gekaufter Künstler, der insgeheim opponierte.
»Er zürnt mir, weil ich seine Matrosenhemden nicht trage, aber ich bin nun mal nicht Tadzio, ich bin nicht mal Aschenbach.« Müller lachte gewinnend, flankiert von mir, Gürkchen und den Blondinen, wobei Letztere sicher nicht wussten, dass Müller hier auf den »Tod in Venedig« anspielte, bei dessen Verfilmung er, der Legende zufolge, als Viscontis persönlicher Assistent mitgewirkt hatte, vor seinem Unfall. Vielleicht legte mein Nachbar David ihm das als schwulenfeindliches Statement aus, jedenfalls hing ein Misston in der Luft, so verzweifelt laut wir, das Häuflein der aufrechten Bildungsbürger, auch lachten.
Nun stellte mir Müller Veronika vor, die, wie ich bereits durch Frau Puvogel wusste, im posthum gesendeten »Tatort« der Müllerin eine Mordverdächtige spielen würde. Veronika reichte mir eine kalte, schmale Hand, musterte mich streng und, wie mir schien, feindselig.
Müller zeigte nun auf mich: »Dieser junge und hochbegabte Autor begleitet mich, weil er eine Festschrift zu meinem
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