Zungenkuesse mit Hyaenen
abgeschrieben!«
»Immerhin haben Sie eine Rolle im Tatort!«
»Das war’s aber auch.«
»Ich wohne jetzt in Felicitas’ Wohnung«, sagte ich, um das Thema zu wechseln.
»Ach echt? Sind da noch Sachen von ihr?«
»Ein paar Möbel und Kleider.«
»Die Kleider will ich haben. Felicitas hat gesagt: Wenn ich mal tot bin, dann kriegst du alles.«
»Sie hat von ihrem Tod gesprochen?«
»Eher im Scherz!«
»Kommen Sie gern vorbei, holen Sie sich die Kleider ab. Ich schreibe für den Mittagskurier eine Geschichte über Felicitas Müller. Darf ich Sie mal zu einem Drink einladen, und wir plaudern?«
Veronikas Interesse an mir schien sprunghaft zu wachsen. »Gern«, sagte sie und reichte mir ihre Karte.
Pilz traf ein, und ich verabschiedete mich von Veronika. Als ich wieder in die Küche kam, hatte die Stimmung offenbar ihren Höhepunkt erreicht. Die Blondinen kicherten. Kuki zog mich nah zu sich heran, sagte, sie habe mich schon vermisst, und stopfte mir mit schwarzen Fingern eine schwarze Olive in den Mund. Ich hatte Mühe, herauszufinden, was Olive und was Finger war. Ich bin leichte Beute, dachte ich kauend. Ich würde alles essen, was mir diese Frau in den Mund stopft.
»Schaut mich an«, sagte Müller, zu den Blondinen gewandt, in gespielt weinerlichem Ton. »Ich kann gar nicht laufen, ich armer Hund. Meine Mutter hat mich nie gestreichelt. Ich brauche Zuspruch und Bestätigung!«
Kein Zweifel, er wollte den Trog nun leer fressen. Eines der Mädchen sprang auf, lief um den Tisch, beugte sich, von den beiden anderen angefeuert, zu Müller hinunter und drückte seinen Kopf in ihr Dekolleté.
»Sind das Schauspielerinnen, oder ...?«, flüsterte ich Gürkchen zu, denn wenn es sich bei den Mädchen um käufliche handelte, müssten sie, streng genommen, nicht verführt, sondern nur bezahlt werden. Es sei denn, Müller gab diese Vorstellung allein für mich, ein Gedanke, der mir Angst machte. Wie würde der Abend weitergehen? War die Tür des Gästezimmers von innen verschließbar?
»Schauspielerinnen«, antwortete Gürkchen nach kurzem Zögern, fletschte kleine Haifischzähne, zwischen denen Mettwurstfasern hingen, und ließ einen feinen Speichelregen auf meinen Ärmel niedergehen.
»Spielen Sie Schach? Im Leben ist es wie im Schach, man darf mehr als eine Dame haben«, sagte Müller, zu mir gewandt. »Es gibt viele Arten der Verführung, Frauen mit dem Mitleidsfaktor ins Bett zu kriegen ist vielleicht nicht der eleganteste Weg, aber klappt immer.«
Ich spielte Schach, ich hatte oft mit Mutter gespielt und meist verloren, vielleicht, weil ich tatsächlich keine Ahnung davon hatte, dass man mehr als eine Dame haben durfte. Ich jedenfalls hatte immer nur eine Dame gehabt: Mutter.
Müller machte eine Bernhard-Grzimek-Miene und verhielt sich, als seien die Mädchen Teil eines Menschenversuchs, als stünden wir vor einem Terrarium voller läufiger Blondinen und studierten deren Sexualverhalten. Ich tat es ihm gleich.
»Sie setzen Ihre Behinderung zu Verführungszwecken ein?«
»Warum denn nicht?«
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Es hatte Jahre gedauert, bis sich Müller an die zynische Leichtigkeit der Frage »Warum denn nicht?« herangearbeitet hatte. Damals, nach dem Unfall, hatte er erst gar nicht kapiert, dass er nie wieder aufstehen würde, niemals weitergehen und weitermachen, dass er lebenslang halb bleiben würde, halb funktionierend, mit einem unteren Körper, der noch da war, aber nicht gehorchte.
Dass diese Beine, diese kräftigen, braungebrannten Männerbeine, mit denen er eben noch durch Griechenland, durch Zypern, durch die Türkei gewandert war, ganz allein gewandert war, mit denen er Berge erstiegen und Mopedpedale getreten hatte, mit denen er getanzt hatte und Fußball gespielt, dass diese Beine ihn nie mehr tragen würden, hat er mit dem Verstand erfassen, aber seelisch nicht akzeptieren können. Das konnte nicht sein! Nie und nimmer! Es musste sich um ein Versehen handeln! Da musste doch etwas zu machen sein! Er massierte, knickte, schlug diese Beine, diese ungehorsamen, gefühllosen Dinger, die Verräter. Er versuchte die Zehen zu bewegen und glaubte immer wieder, etwas gesehen zu haben.
»Es hat sich bewegt. Sehen Sie nicht? Ganz deutlich!«
Doch die Ärzte schüttelten die Köpfe. Reflexe. Nichts als Reflexe. Ein Psychologe besuchte ihn täglich, aber Müller verachtete ihn. Aufmunterung konnte ihm gestohlen bleiben. Auch an Statistikenwar er nicht interessiert. Er wollte nicht hören, wie hoch
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