Zungenkuesse mit Hyaenen
Gerissen, lebenshungrig, korrupt .«
Er: »Wie ich! Wie ich!«
Sie lachen.
Er: »Ich hab eine bessere Idee. Ein Produzent, der in einer Villa wohnt.«
Sie: »Lass mich raten. Er sitzt im Rollstuhl?«
Er: »Genau. Und deswegen kommt er auch nicht die Treppe hoch. Er hat den oberen Stock seines Hauses noch nie gesehen. Oben hält sich seine junge Frau einen Liebhaber, der immer nackt auf sie wartet. Einen Cellisten.«
Sie: »Kann Veronika die Ehefrau spielen?«
Er: »Ist das deine hübsche oder deine hässliche Freundin?«
Sie: »Die hübsche.«
Er: »Da lässt sich was machen. Lad sie mal zum (unverstänlich) ein .«
Sie: »Eines Tages ist der Liebhaber tot.«
Er: »Ein Cellist!«
Sie: »Ein Schauspieler.«
Er: »Egal, der Produzent hat ein Motiv, er ist Hauptverdächtiger, aber er kann’s nicht gewesen sein, weil er ja unmöglich in den oberen Stock kommt.«
Sie: »Er war es aber doch!«
Er: »Schlaues Mädchen! Natürlich war er’s!«
War es Zufall oder subjektive Wahrnehmung: Dieser Dialog lieferte mir die perfekte Illusion von Liebe. Paarungsglück, das ist, in der Buchhandlung stundenlang in Regalen zu wühlen und sich gegenseitig Textstellen vorzulesen, gemeinsames Frühstücken und Presseschau, Spaziergänge in stummem Einklang oder eine so ironisch-ergänzende Drehbuchentwicklung wie hier. Müller muss am Boden zerstört sein, dass er diese Frau verloren hat, dachte ich, nahm das Magnetband heraus und hörte in die Rückseite hinein:
Sie: »Was ist, wenn dein Produktionsstab streikt wie angekündigt?«
Er: »Dazu sind sie nicht dumm genug. Sie wissen, sie würden das Geschäft ruinieren.«
Sie: »Vielleicht ist es ihnen egal, ob sie das Geschäft ruinieren?«
Er: »Ich sage doch, sie sind nicht dumm. Nicht klug, aber auch nicht dumm … Sie haben Hunger, ihre Familien haben Hunger. Sie haben Bedürfnisse, ihre Familien haben Bedürfnisse. Sie riskieren mehr, als ich Schaden nehme.«
Sie: »Aber was, wenn doch? Willst du Streiks etwa verbieten?«
Er: »Ja! Ist doch immer noch so wie in der Steinzeit. Wer die größte Keule hat, hat das Sagen.«
Sie: »Das wirklich Perverse an dir ist das unverwüstlich Reaktionäre .«
Er: »Sozialromantikerin!«
Sie: »Faschist.«
Er: »Dummes Huhn. Gack gack gack!«
NACKTSCHNECKEN
Herr Müller begegnet Frau Müller scheinbar unerschrocken. Obwohl ihm der Schweiß ausbricht, wenn er jenes Zucken in ihrem Gesicht sieht, das Vorbote eines Wutausbruchs ist. Obwohl er wie ein Hund leidet, wenn sie eingeschnappt ist, wenn sie verschwindet und sich tagelang nicht meldet.
Es sind vorrangig seine politische Einstellung (»Warum dürfen wir Deutschen nicht um unsere gefallenen Soldaten trauern?«), sein nassforscher Rassismus (»Aber wieso soll ich nicht Neger sagen? Wo er doch einer IST!«) und seine tiefverankerte Frauenfeindlichkeit (»Warum sind Politikerinnen immer so hässlich?«), die die Müllerin zur Raserei bringen.
Sie zur Raserei zu bringen ist der einzig berechenbare Punkt dieser unberechenbaren Frau. Sie ist furchtbar, wenn sie rast, aber sie ist auch begehrenswert, eine wilde Sau, vom Furor geschüttelt, eine schwere Maschine, die führerlos durch die Botanik pflügt.
Manchmal schneidet Müller ein Reizthema an, nur, um sie rasen zu sehen, mit Geschirr werfend, mit Messern fuchtelnd und wutschnaubend aus den Schnapsflaschen seiner Bar saufend. Intimrasur zum Beispiel. Die Müllerin verweigert sich seinen diesbezüglichen Wünschen. Sie rasierte sich die Beine, die Achseln, aber nicht die Scham. »Ich komme euren Kinderfickerphantasien nicht entgegen«, ist ihre Begründung.
»Aber ich bitte dich«, ruft er aus, »jede Wurstverkäuferin ist heutzutage untenrum rasiert.«
»Soll mir das Ansporn sein?«
»Ja, verdammt!«
»Welche Logik steckt dahinter, wenn die Haare, die aus meinem Kopf kommen, möglichst lang sein sollen, aber die zwischen meinen Beinen möglichst weg? Warum? Warum nicht andersrum?«
Egal, ob er mit Engelszungen redete, ob er schimpfte oder drohte, sie blieb unumstimmbar. »Ich werde mir nicht dauernd mit Rasierern zwischen den Beinen herumschaben, nur weil du eine Obsession für Nacktschnecken hast.«
Er braucht ihre feuernden Neutronennetze mit all den Kurzschlüssen und Aussetzern, die sie unaustauschbar und unverzichtbar machen. Er, vor dem alle kuschen, fürchtet diese Frau wie der Teufel das Weihwasser. Er befindet sich im Spannungsfeld zwischen drei Polen: der Angst, von ihr verlassen zu werden, der Angst, von
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