Zungenkuesse mit Hyaenen
seine Psychopharmaka aufbewahrt.
Sie gärtnert in bescheidenem Maße, betreut Müllers häufig wechselnde Hausgäste und räumt klaglos die Orgien-Überbleibsel fort, die leeren Flaschen, die Reste von Damenbesuchen, wobei sie nach einer strengen Checkliste vorzugehen hat, die auch Nachttischinhalte und Toilettenschrankinterna umfasst – nicht selten war es vorgekommen, dass Müllers Geliebte Wäschestücke und Ohrringe im Haus versteckten, um Marken zu setzen, so wie es Hunde tun. Sie bewirtet Prostituierte, Transvestiten, ranzige Künstler, so wie es Jesus getan hätte, sie füttert den renitenten Hund mit Entenstopfleber und nimmt stoisch hin, dass in diesem Haus viel passiert, das gegen die Schöpfungsordnung ist. Nur wenn ihr jemand ins Handwerk pfuscht, das kann sie auf den Tod nicht ertragen. Frau Niedel ist die Hausdame, ein wenig auch die Dame des Hauses, und Müllers Entourage respektiert sie als graue Eminenz, obwohl Eifersüchteleien bei einer solchen Vertrauensstellung natürlich nicht ausbleiben.
Seit jedoch »die Hexe« in Müllers Leben getreten ist, vor zehn Jahren, hat Frau Niedel mittwochs frei, was für sie bedeutet, dass sie jeden Mittwoch, aus der geliebten Gelben Villa verbannt, in ein tiefes Loch fällt und mit ihrem Schicksal hadert. Seit dem Tod der Roten Müllerin, welcher Frau Niedel mit ganz und gar unchristlicher Genugtuung erfüllt, ist diese Regel stillschweigend aufgehoben und die segensreiche Sieben-Tage-Woche zurückgekehrt.
BLAUPILLENPROBAND
Müller klatschte zweimal in die Hände. Das Licht dimmte sich auf ein Mindestmaß herunter. In der Dämmerung sah er mich an wie einen wildfremden Menschen. »Und Sie ...«, sagte er.
»Meikel«, half ich aus.
Müller zog eine Schatulle aus der Tasche und öffnete sie. Sie enthielt Pillen vier verschiedener Farben.
»Wogegen sind die?«, fragte ich.
»Es gibt keine Pillen gegen etwas, nur für etwas. Ich nehme Pillen für alles: Schlaf, Wachsein, Geilsein, Scharfsinnigsein, Starksein, Jungsein. Schlausein, Schmerzfreisein, Mut, Romantik, Vergessen. Ich habe eine Pille für jeden Ihrer Wünsche. Welchen haben Sie?«
»Scharfsinnig sein!«
»Ach, wissen Sie, mir sind Sie scharfsinnig genug. Nehmen Sie eine für gute Laune.«
Müller gab mir eine blaue Pille. Ich spülte sie mit süßem Hugo hinunter. Müller reichte die Schatulle auch den anderen. Alle bedienten sich, als handle es sich um Konfekt.
»Und?«, fragte Müller und sah mich an. »Wie geht es Ihnen?«
Ich konstatierte ein flaues Gefühl im Magen, vielleicht Kontrollverlust, vielleicht ein kleines Unwohlsein. Oder Wohlsein?
»Spüren Sie nicht einen leichten Druck im Kopf? Werden Ihre Gliedmaßen leichter? Macht sich eine wohlige Lähmung breit, gibt es ein inneres Entgleisen?«
»Gut möglich«, sagte ich, angstvoll in mich hineinhorchend.
Alle blickten mich aufmerksam an. Ich stand im Mittelpunkt einer Gruppe, deren Interesse ich noch wenige Wochen vorher unmöglich erregt haben würde. Ich war ein Proband, ein Blaupillenproband, ein Versuchstier. Hatte außer mir noch jemand die blaue Pille gewählt? Hatten sich alle darauf geeinigt, andere Pillen zu wählen, aber bloß nicht die blaue?
»Fühlen Sie ein starkes Pulsieren, ist Ihr Herzschlag beschleunigt, denken Sie, ohne es zu wollen, an verbotene Dinge?«
Das konnte gut sein. Alles, was Müller sagte, ging mit mir vor. Ich war sein Medium, auf Gedeih und Verderb seiner Willkür ausgeliefert. Ich spürte die Bereitschaft, sein zu sein, Müllers Geschöpf. Kukis halbe Olive hatte einen Appetit angeregt, der mir direkt in die Lenden fuhr.
»Spüren Sie eine neue Kraft in sich, von der Sie nicht wissen, ob sie gut oder böse ist?«
Ja! Ja! Ich tat es! Aber ich sah mich außerstande, darüber zu sprechen. Nur ein klägliches Nicken gelang mir, von dem ich nicht wusste, ob es einer der Anwesenden wahrnahm.
»Verspüren Sie den unbändigen Wunsch, zu tun, was ich Ihnen sage?«
Wiederum nickte ich, allem entgegenschauernd, was da kommen würde.
»Gut, dann legen Sie was Nettes auf. Dort drüben, die CDs? Dean Martin, Frank Sinatra, Elvis. Ich glaube, die Damen wollen tanzen.«
Während ich vorm CD-Schrank kniete, hatten Janine, Jacqueline und Jana Adidas-Taschen geholt, aus denen sie verchromte Klappstangen zogen. Offenbar gab es ein technisches Problem.
»Die Decke ist zu hoch«, sagte Jana wie durch Watte. Ich fiel vom Knien in die stabile Seitenlage und dachte mir nichts dabei, als dass es bequem sei. Müller
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