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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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zwischenmenschlicher Vermesser sein, der Spuren liest und auswertet, der Zusammenhänge erst erkennt und dann deutet, der sich schlussendlich auf die Fährte macht und wittert. Ich wollte der Spürhund sein und das Ganze meine Schnitzeljagd, meine Schatzkarte. Aber das Papier, das sich im fahlen Mondlicht vor mir wellte, sah nicht aus wie eine Schatzkarte, es sah aus wie ein Spinnennetz, ausgebreitet, um mich zu fangen, zu fesseln, zu kokonieren.

    Hatte mir Müller das Magnetband absichtlich zugespielt? Sollte ich es hören, um in Verwirrung zu geraten? Im neuen »Tatort« stellte sich zum Schluss der Produzent tatsächlich als Mörder heraus. Er hatte seine Querschnittslähmung über viele Jahre nur vorgespielt und war nachts, als seine Frau schlief, hinaufgegangen, um ihren Liebhaber zu ermorden. War Müller gar nicht gelähmt, und wenn doch, warum spielte er so ein grausames Spiel? Liebte er es, in Geschichten wie in Kleider hineinzuschlüpfen? Der »Tatort«, der erst in einigen Wochen im Fernsehen laufen würde, war inzwischen von der Realität überholt worden. Es gab eine echte Leiche, echte Verdächtige, und echte Polizisten. Hatte der Film auf die Realität rückgekoppelt? Würde das Honigbuch der Müllerin Aufschluss darüber geben? Ich stand auf, griff eines der Bücher heraus, blätterte darin, las hier, las dort. Es war schlecht. Arme, traurige, tote Bestsellerautorin! Geliebte, ferne Rote Müllerin!
    Waren das alles Hinweise für mich? Wollte Müller mich erschrecken? Falsche Fährten legen? Würde er sich nachts aus dem Bett erheben, seinen Rollstuhl mit einem Fußtritt wegstoßen, um dann dieschmale Wendeltreppe hochzuschleichen und mich zu ermorden? Andererseits: Warum sollte er ein harmloses Insekt wie mich ermorden wollen?
    Wenn ich also nur Darsteller war, wer schrieb das Drehbuch? Warum hatte Big Ben mich auf Müller angesetzt, wenn er mit diesem doch offenbar bestens bekannt war, ja, wenn der ihm sogar etwas schuldete? Arbeiteten die beiden gegeneinander und benutzten mich als Waffe, arbeiteten sie vielmehr zusammen und benutzten mich als Instrument? In jedem Fall, so schien es, wurde ich benutzt. Was war meine Rolle in dem Spiel? Konnte es sein, dass jemand im Hintergrund die Fäden zog? Wer hatte die Hugos mit Natriumpentobarbital vergiftet, wie weit war Gritli mit dem Entschlüsseln des Tagebuchs?
    Ich hatte mir bereits eine grobe Gliederung für die Serie notiert, das Nacherzählen der tragischen Liebesgeschichte, beginnend mit der Todesnacht: rauschendes Fest, böses bzw. gar kein Erwachen, Lebensstationen der Müllerin, Lebensstationen des Müller. Aber ich hatte kein Fleisch. Ich hatte nichts, nichts, nichts! Als trauernder Romeo war Müller eine Fehlbesetzung. Er schien sich kaum noch an die Müllerin zu erinnern. Womit sollte ich die Fortsetzungsgeschichte füllen, die Big Ben bereits fest eingeplant hatte? Mein müder, wirrer, drogenvernebelter Kopf wurde schwerer und schwerer.
    Es klackte im Haus. Ein Türscharnier quietschte. Die Dielen knarrten. Was war das? Die Brille hing mir von einem Ohr. Ich brauchte einige Sekunden, um mich zu besinnen. Ich saß an einem Schreibtisch. An wessen Schreibtisch? Vor mir lag das Strickmuster. Das war vertraut. Ich war eingeschlafen. Oder träumte ich noch? Langsam bog sich die Klinke der Tür herunter. Das war ja gar nicht meine Tür! Ich war ja gar nicht in meiner Wohnung. Ich war bei Müller. Wir hatten einen Deal, und Müller begann, seinen Teil einzulösen. Eine Silhouette stand im Türrahmen. Schlank, mit schmaler Taille undschulterlangem Haar. Ein schwacher Lichtschein fiel von hinten auf ihr Haar. Es war schwarzblond. Eins der Mädchen stand über mich gebeugt, nur mit einem Flatterhemdchen bekleidet, kichernd. Sie flüsterte: »Die schlafen alle da unten. Wir dürfen sie nicht aufwecken.« Sie nahm mich an der Hand und führte mich zum Bett. Ein Hauch von Parfüm, Schweiß und Sperma streifte mich.
    »Ich hab mich heimlich hochgeschlichen«, flüsterte sie. »Du musst gaaanz leise sein.«
    Sie schubste mich ins Bett, schlüpfte mit hinein, hob das schwere, kalte Federbett über uns, zog ihr Flatterhemd aus und drängte ihren haarlosen Körper an meinen. Es nahte die Erfüllung meiner kühnsten Träume. Die Tür zum Paradies stand offen und meine von Mutter so drakonisch gehütete Unschuld entschieden auf der Kippe.
    »Du gefällst mir viel besser als die anderen«, flüsterte sie. »Gefalle ich dir auch?«
    Doch ehe ich nur den Mund

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