Zungenkuesse mit Hyaenen
hatte recht, die blauen Pillen wirkten angenehm enthemmend. Nur zu gern hätte ich Mutter eine oder gar zwei davon verabreicht. Warum lagen nicht alle Menschen auf Teppichen und Wiesen herum wie die alten Griechen? Warum verbrachten wir unser gesellschaftliches Leben überwiegend in unbequemen Körperhaltungen? Wir zogen die Bäuche ein, überstreckten im Auftrag des aufrechten Gangs die Schultern nach hinten, aßen in einer Haltung, die die Verdauungsorgane quetschte, wir liebten in den gesundheitsgefährdenden Positionen des Kamasutra, uns dürstete nach physiologisch bedenklichen Extremsportarten. Warum?
»Dann lasst ihr eben die Stangen weg und hüpft so ein bisschen herum«, sagte Müller, der an seinem Smartphone herumdrückte,grob. Vielleicht stellte er es für den Rest des Abends stumm. Das erschreckte mich dann doch. Ich dachte an mein Smartphone, das oben lag.
»Aber es geht nicht ohne Stange«, sagte Jana, den Tränen nahe, »wir haben eine Synchronchoreographie erarbeitet.«
»Aha. Ach so. Ah ja. Das ändert die Lage«, sagte Müller. »Gürkchen, wie haben wir denn das sonst gelöst?«
Und Herr Gürkchen schaute stumm in dem Dachgebälk herum. »Na, das Mal davor hatten wir Bauchtänzerinnen und noch davor diese Schlangenfrau.«
»Ach. Die brauchten keine Stangen.«
»Die brauchten beide keine Stangen.«
»Nur Schlangen, haha.«
Gürkchen fiel in Müllers Gelächter ein.
»Aber wir hatten das Stangenproblem schon mal, daran erinnere ich mich.«
»Ja, stimmt, Pfingsten 92, da sind wir ins Schlafzimmer gegangen. Da ist die Decke niedrig.«
»Also, ab ins Schlafzimmer«, rief Müller und nahm Fahrt auf. »Rakete ist in Stellung! Triebwerke sind bereit zur Zündung!«
ORGIENSAAL
Als Gürkchen und Müller mit den stangenklappernden Mädchen im Schlafzimmer verschwanden, hätten mich keine zehn Pferde dazu gebracht, einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Die blaue Pille hatte meinen Kopf zum Heißluftballon aufgeblasen. Die Angst hatte über die Neugier gesiegt. Das war das Todeszimmer, der Orgiensaal. Und ich stand schwankend davor und schüttelte den Kopf.
»Kommen Sie«, rief Müller, als wolle er eine Hochzeitstorte anschneiden, »es ist genug für alle da.« Sein Tonfall war vollkommen unbekümmert, als schicke er sich an, Quality-Time mit lieben Freunden zu verbringen.
»Nein, vielen Dank, ich bin müde«, lallte ich.
Müller lachte: »Recht so! Bleiben Sie standhaft, Meikel! Machen Sie es mir nicht zu leicht! Soll ich Ihnen später eine Dame aufs Zimmer schicken?«
»Nein, danke. Ich möchte mir noch Notizen machen.«
»Notizen!« Müller nickte versonnen.
»Er möchte sich Notizen machen«, rief er in Richtung Gürkchen. Der zog grinsend an seinem Schlips, um ihn abzulegen.
»Morgen um neun Frühstück, um zehn Abfahrt ins Büro«, sagte Müller. »Und, bitte, ich gebe Ihnen morgen eine andere Krawatte, so geht das nicht, das ist ja grauenhaft.«
Ich griff nach meiner pinkgestreiften Krawatte, nickte und lief hastig die Treppe hoch. In Müllers Gästezimmer angekommen, probierte ich das antike mechanische Diktiergerät aus. Es stammte aus Zeiten meines Großvaters, eine bereits bespielte Mikrokassette lag darin. Ich hörte Müllers Stimme:
»Du verwendest mich. Und ich will nicht verwendet werden.«
»Hab dich nicht so« , sagte eine Frauenstimme.
Das musste die Stimme der Müllerin sein.
Er: »Was ist denn jetzt der Plot?«
Sie: »Ich weiß nicht, der Sender wünscht sich Kindesmissbrauch.«
Er: »O Gott! Mach lieber was mit Nutten. Da könnt ich dir helfen.«
Sie: »Nutten sind in jedem dritten Tatort.«
Er: »Na und? Das Mädel arbeitet heimlich als Nutte, und nachher trifft sie ihren eigenen Verlobten im Puff.«
Sie: »Oder ihren Vater? Dann haben wir noch Inzest drin.«
Er: »Warum nicht?«
(unverständlich)
Er: »Gut, Nutten also nicht. Stripperinnen?«
Sie: »Langweilig.«
Er: »Ich finde das gut. Und ich repräsentiere den Massengeschmack .«
Sie: »Danke.«
(unverständlich)
Er: »Oder Tänzerinnen!«
Sie: »Abgedroschen.«
Er: »Stimmt, außerdem haben die keine Titten.«
Sie: »Und Schlottergelenke. Eher Orchestermusikerinnen, aber hübsche.«
Er: »Es gibt keine hübschen Orchestermusikerinnen, aber ein Mord im Orchestergraben, das hat was. Der Dirigent erschießt den Cellisten.«
Sie: »Warum?«
Er: »Er hat ihm die Frau weggenommen.«
Sie: »Hm. Oder der Cellist erschießt den Dirigenten.«
Er: »Warum?«
Sie: »Weil der ein Wüstling ist.
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