Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
Vom Netzwerk:
detailversessen. Sie musste ans Herz gehen, ohne zu sentimental zu wirken. Und sie musste nur scheinbar ihr huldigen, aber eigentlich ihm.
    Innerhalb einer Stunde war mein Entwurf fertig. Müller war damit überaus zufrieden, hielt allerdings zehn Minuten später meine Rede für seine eigene und wollte weitere zehn Minuten später, als er sie probehalber vorgetragen hatte, von mir für meine Pointen gelobt werden.
    Gen Nachmittag wurde ich unruhig, weil ich mit Gritli an der Eisbude in Dingenskirchen verabredet war. Zu meiner Erleichterungmachte Müller Anstalten, sein Office pünktlich um 16 Uhr zu verlassen. Als wir schon fast durch die Tür waren, klingelte das Bürotelefon. Die Businessbiene war offenbar schon weg. Müller sah mich fragend an, kehrte um und nahm den Hörer ab.
    »Ah – die Weltpresse!« Dann hörte er, mich fixierend, zu. »Ja! – Ja! – Ja! .... Wer? – Ach, Ihr Patensohn! Ja, der ist hier! – Ich kann wirklich nicht klagen, der Junge ist fleißig und anstellig.« Müller zwinkerte mir zu. »Er schreibt alles mit. Wollen Sie ihn sprechen?«
    Ich machte abwehrende Handbewegungen.
    »Ich übergebe mal.« Müller händigte mir den Telefonhörer aus. Big Ben klang sauer. »Hör mal, Michi, ich habe ungefähr zwei Dutzend Nachrichten auf deiner Mailbox hinterlassen. Wenn ich dich schon bezahle, und ich weiß ehrlich gesagt gerade nicht, warum, dann bist du gefälligst erreichbar. Hast du das verstanden, du kleiner Loser? Hast du?«
    »Ja, Onkel Benedikt.«
    »Uns ist hier grad eine andere Geschichte weggebrochen. Wir brauchen gleich was. Wir bauen hier gerade die Seiten. Wie viele Zeichen sollen wir einplanen? Welche Fotos müssen rein?«
    »Ich kann jetzt nicht sprechen«, stammelte ich. Mir gefiel mein neues Leben so gut, ich hatte meine eigentliche Aufgabe komplett ausgeblendet.
    »Papperlapapp! Ich will bis Mitternacht den Text für den ersten Teil – inklusive drei Auszügen aus dem Tagebuch der Müllerin.«
    Big Ben legte auf. Für einige Sekunden stand ich da, eine Kette von Zündungen im Kopf.
    »Auf geht’s«, rief Müller, den ich verraten sollte, schon an der Tür. »Morgen früh um 8 sind wir schon wieder hier.«
    »Wieso, was ist morgen?«
    »Wir casten Madame Pompadour.«
    Im Auto telefonierte Müller mit Teuben. Mit dem Chef der Kopfklinik und dem Polizeipräsidenten hatte er besprochen, sich retrograde Amnesie bescheinigen zu lassen, um vor den Kommissaren nicht länger einen Komatösen spielen zu müssen. Er wäre damit ab sofort aussagefähig, erinnerte sich aber leider an nichts. Teuben sollte ihm dieses Attest umgehend zustellen.
    »Wenn ich das kurz anmerken darf, Madame Pompadour war die Mätresse von Ludwig XV., nicht vom Sonnenkönig«, sagte ich. Müller musterte mich müde. »Sind Sie ein Erbsenzähler oder ein Kerl? Na?«
    Das gab mir einen Stich. Es stach nicht zu knapp. »What are you, men or mice«, fragt Harvey Keitel in »Bad Lieutenant« seine Söhne, seid ihr Männer oder Mäuse?
    »Ja, Onkel Benedikt«, äffte mich Müller nach, wobei er piepste wie ein Kleinkind. Vermutlich hatte er recht. Ich war kein Kerl, ich war ein Erbsenzähler. Ein erbsenzählendes Meerschwein, das an den Brutpflegetrieb anderer Leute appellierte, nicht aber an ihren Verstand. Ich konnte das Wichtige nicht vom Unwichtigen unterscheiden, ich versteckte mich hinter Brille, Windsorknoten, Schulwissen. Ich verstand nicht, worum es in der Essenz ging. So war das nun mal im Leben. Es gab Groß- und Kleintiere. Großtiere waren schon immer groß, Kleintiere blieben immer klein. Kein Großtier konnte jemals ein Kleintier sein und vice versa.
    Künstlerische Freiheit und Geschichtsfälschung gingen Hand in Hand im Filmgeschäft. Das wusste ich doch. Das war nun mal so. Genau dieser Umstand war meine neue Realität, vermutlich war das überhaupt die Realität, nicht nur im Filmgeschäft, auch im Journalismus wurden oft Geschichten »hingebogen«; bis Mitternacht war ich selbst angewiesen, meine Geschichte hingebogen zu haben; nun musste es ein Ende haben mit den Zaudereien, den Befangenheiten, den Vorbehalten. Mutter hatte mich Präzision und Gewissenhaftigkeit gelehrt, ganz gegen meinen Hang zum Fiktionalen. Ich musste Mutters Prägung abschütteln, wenn ich in Müllers Kosmos eintauchen wollte, ich mussteMutter (Teufel) mit Müller (Beelzebub) austreiben. Beide Worte hatten sechs Buchstaben, beide begannen mit Mu und endeten mit -er. Da war doch Methode drin! Das war ein tollkühner Gedanke,

Weitere Kostenlose Bücher