Zungenkuesse mit Hyaenen
kokett.
»Hm. Christoph Waltz?«, sagte ich.
»Zu wenig Sexappeal. Denken Sie größer, Meikel, denken Sie international!«
»George Clooney?«
»Aber nein. Der kann vielleicht Kaffeenäpfchen verkaufen, aber er hat keine Abgründe.«
»Robert de Niro?«
»Zu alt! Was wissen Sie über den Sonnenkönig?«
»Nun, er liebte den Prunk, die Kunst und die Frauen!«
»Exakt! So wie ich! Und er war geboren, um zu herrschen.«
»So wie Sie?«
»So wie ich!«
Was hätte ich gegeben für einen Funken von Müllers Selbstbewusstsein. Es stand brachial im Raum, unumstößlich wie ein Gesetzestext, in Stein gemeißelt, kein Platz für Zweifel. Ich dachte an die Zehn Gebote, die Gott mit flammenden Blitzen in Steintafeln geschrieben hatte.
»Was macht einen guten Herrscher aus?«, fragte ich, den Stift im Anschlag, und gefiel mir in meiner journalistischen Attitüde.
»Er muss für etwas stehen.«
»Und wofür stehen Sie?«
Müller stutzte. »Ja, für nichts, aber ich würd’ für was stehen, wenn es was gäbe.« Er sah mein Gesicht und lachte schallend.
»Aber es gibt doch so viel«, warf ich ein. »Den Weltfrieden, die Menschenrechte, die soziale Ungerechtigkeit.«
»Das Waldsterben?«, fragte Müller lauernd.
Ich nickte, wobei mich ein unbehagliches Gefühl beschlich.
»Die hungernden Kinder in Afrika?«
Er platzte mit einem lauten Lachen heraus. »Jetzt sein Sie mal nicht albern.«
Er winkte mich ganz dicht zu sich heran, so dass ich seinen gebieterischen Zigarren-Rotwein-Espresso-Mundspray-Atem roch.
»Ich werde Ihnen jetzt ein Geheimnis verraten«, sagte er. »Ich bin im Gespräch mit Schavier Bardemm.«
»Javier Bardem? Als Sonnenkönig?«
Ich war beeindruckt. Javier Bardem, ein weltbekannter spanischer Schauspieler, ein Hollywoodstar, ein Oscarpreisträger, der durch sein bloßes Erscheinen unzähligen weiblichen Fans kleine, spitze Schreiedes Entzückens entlockte. Müller hatte vollkommen recht: Wo Clooney mit Vertretercharme punktete, blieb Bardem ein lustgesteuertes Raubtier, ein schauspielerischer Söldner, den ein Auftragskillerjob ebenso wenig schrecken wie ihn eine gepuderte Perücke zähmen konnte. Die Beiläufigkeit, mit der Müller trotz aller Misslichkeiten auf der Achse des Erfolges zu operieren schien, inspirierte mich zu einer Idee: »Nennen Sie mir die zehn Regeln für Erfolg!«
Müller schüttelte einen Zigarillo aus der Packung. Ihm gefiel die Frage, das konnte ich sehen. Vermutlich stellte er sich gerade meine Geschichte im Mittagskurier vor. Eine richtige Alphatier-Geschichte.
MÜLLERS 10 ERFOLGSREGELN
No risk, no fun!
No fight, no glory!
Dicht am Stier kämpfen!
Niemals rechtfertigen!
Den Feind nicht wissen lassen, was du denkst!
Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden!
Die Flamme, nicht die Motte sein!
Keine Kriege führen, die man nicht gewinnen kann!
Ein Feldherr darf nicht über jedes Opfer weinen!
In Stiefeln sterben!
MADAME POMPADOUR
Am späten Nachmittag legte mir Müller die Rede vor, die er damals zum Tod der Gräfin gehalten hatte. Er bat mich, sie umzuschreiben, denn er wollte sie zur Urnenbeisetzung von Felicitas Müller nochmals halten. Die Leiche war bereits vor zehn Tagen von der Gerichtsmedizin freigegeben und kremiert worden. Alles andere war eine Terminfrage, die Müller oblag. Innerhalb der nächsten zwei Wochen würde die Feier stattfinden, und sie sollte ein gesellschaftliches Ereignis werden.
Den ersten Absatz der Rede musste ich nur unwesentlich umarbeiten: »Hochverehrte Damen, geschätzte Herren, meine sehr geehrten Anwesenden! Es gibt drei große Ereignisse im Leben eines Menschen: Geburt, Koitus und Tod. Die Geburt feiert man allein, den Koitus – mindestens – zu zweit, und bis zu seinem Tod sollte man idealerweise einige Menschen angehäuft haben. Die Gruppe muss groß genug sein, dass sie beim Begräbnis ein schönes Bild ergibt. Dafür, dass Felicitas Müller nur dreißig Jahre Zeit hatte, hat sie eine illustre und auch ansehnliche Trauerschar zu bieten ...«
Im zweiten Absatz der Rede tauschte ich die biographischen Stationen der Gräfin gegen die der Müllerin aus. Müller hatte mir gesagt, dass er im Kern dieselbe Rede halten wolle. Der Auftrag lag mir. Ich verstand ihn. Es ging nicht darum, alle Gedanken, die ich zur Müllerin hatte, einzuarbeiten, sondern nur die zu verwenden, die Müller gut ausschauen lassen würden. Die Rede musste gediegen sein, aber mit einem Schuss Verkommenheit. Sie musste kenntnisreich sein, aber nicht zu
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